Ein Samstag bei den Hibs

Erstellt von TORWORT - Die Fußball-Lesung

Ein Samstag bei den Hibs

Als wir in Edinburgh ins Taxi stiegen, musste ich nicht lange überlegen, in welches Gesprächsthema ich den Fahrer verwickeln würde. Wenn es um Frikadellen an den Ohren von Taxifahrern geht, bin ich seit Jahrzehnten das, was Erling Haaland für Norwegen ist – Erfahrung, auf die ich auch nun in Schottland bauen konnte. Natürlich erzählte ich ihm ohne großes Vorgeplänkel, dass wir planten, die Hibs in der Easter Road zu besuchen, wenn denn nun endlich Samstag würde. Er sprang sofort darauf an und erzählte mir in bestem schottischem Akzent der Marke „Wollknäuel im Mund“, dass er ebenfalls gegen den FC Motherwell vor Ort sein würde. Fast schon routiniert sprachen wir über Edinburghs rechten Flügel, den wir im Auge behalten sollten, über die Neuzugänge, die er noch nicht so richtig einschätzen könne und über die Chancen der Hibs auf das internationale Geschäft. Manchmal dauert es gerade mal eine rund fünfminütige Taxifahrt, um in einer eigentlich fremden Stadt Freunde zu finden. An unserer Unterkunft angekommen, half er uns wie selbstverständlich mit den Koffern, verabschiedete sich überschwänglich und versprach, dass er nach uns Ausschau halten würde am kommenden Spieltag. „I wave over“ rief er noch beim Wegfahren, weil wir im Gespräch festgestellt hatten, dass er auf der von uns gegenüberliegenden Tribüne sitzen würde.

Ich hatte mich schon vor ein paar Jahren in die Hibs verliebt, ausgerechnet im Celtic-Park. Die Gäste-Fans beeindruckten mich damals so nachhaltig, dass ich zum ersten und einzigen Mal während eines Fußballspiels die Mannschaft, die ich unterstützte, wechselte. Als wir nun endlich ein Heimspiel der Hibs besuchten, war die Stimmung auf den Rängen nüchtern und gediegen. Trotzdem imponierte mir etwas an diesem Fußballnachmittag in Schottland. Die Leute, die hier ins Stadion gingen, taten das mit einer stoischen Selbstverständlichkeit, die man nur an Orten sieht, an denen Liebe zum Mobiliar gehört. Gemeinsam und lachend tranken sie vor dem Spiel ein Pint oder zwei im Pub ihres Vertrauens und gingen dann die Easter Road hinab zum Stadion, an dem ein großes Banner das Vereinsmotto verkündete: „Persevere“, Durchhalten. Samstag, Spieltag – man geht hin, man hält durch. Die Hibs waren weder hysterisch noch fiebrig. Sie gingen zu ihrem Team, weil sie es eben immer tun. Nur kurz vor dem Anpfiff verloren sie etwas von ihrer beneidenswerten Gelassenheit – nämlich dann, als ihr alter französischer Haudegen und Kapitän Franck Sauzee noch einmal vorbeischaute, um den Spielball zum Mittelkreis zu bringen. Kurz ging ein langgezogener Chant durch die Reihen, der andeutete, was Dankbarkeit in einem britischen Stadion bedeutet. Sauzee hielt sich mit dieser akustischen Verbeugung aber gar nicht groß auf und zeigte, was er von all diesen Menschen, während seiner Edinburgh-Jahre gelernt hatte. Als der Stadionsprecher ihn zu einem Statement bewegen wollte und alle mit einer emotionalen und vielleicht leicht kitschigen Ansprache rechneten, nutzte er die Gunst der Stunde für ein Statement: „Thanks. Let´s play.“ Sprach´s und verschwand in den Katakomben. Die Massen dankten es ihm mit Applaus und gewannen das Spiel gegen Motherwell kurz und bündig mit 1:0, nachdem ihr Kapitän und Innenverteidiger nicht nur den Ball, sondern seinen Gegenspieler gleich mit ins Tor köpfte. Kurze Ovationen, eine Ehrenrunde und zwei Pints für den Heimweg. Fertig war der Samstag für die Hibs.

Von Alemannia hörten wir in unserem Urlaub erst als wir die Hibs und ihre Herangehensweise schon fast wieder vergessen hatten, irgendwo in den Highlands. Und was wir hörten, war der völlige Kontrast zu den Erlebnissen an der Easter Road: Heimniederlage statt Heimsieg. Becherwurf statt Pint. Spielabbruch statt Ehrenrunde. Heldendämmerung statt Heldenverehrung. Hitzige Aufregung statt Gelassenheit. Kurz: der ganz normale Wahnsinn, der aus der Ferne beobachtet – so ehrlich sollte man sein – etwas leichter verdaulich ist als im Auge des Sturms. Ich trank ein Pint mehr und freute mich schließlich darüber, dass zuhause trotz all dem Wahnsinn im gleichen Atemzug gleich mal der Aufstieg in den bezahlten Fußball für die nächste Saison ausgerufen wurde. Als ich mir also bei meinem mittlerweile dritten Pint selbst Mut zusprach und so langsam selbst an den Aufstieg glaubte, dachte ich an all die Hibs, die ich getroffen hatte. Ich dachte an Frank Sauzee, der sich von nichts und niemanden feiern lässt, wenn ein Spiel ansteht. Ich dachte an all die jungen und alten Männer mit ihren Pints kurz vor dem Spiel. Ich dachte an ihren Kapitän, der sogar Hinkelsteine ins Tor köpfen würde. Und ich dachte an den Taxifahrer mit dem Wollknäuel im Mund, der wahrscheinlich wirklich zu uns rüber gewunken hatte. Und ich dachte an ihr Motto: Persevere! Durchhalten!

Sascha Theisen

STAMMPLATZ-Gründer und Fußball-Romantiker