Auf Parkplatzsuche in Höhenberg
Es war schon die dritte Runde um den Block, die wir auf der Suche nach einem Parkplatz drehten. Höhenberg hieß der Ort, der von Autos mit Alemannia-Aufklebern zugestellt war und in dem es scheinbar keine Möglichkeit gab, das eigene abzustellen, um pünktlich im Stadion zu sitzen. Einen Ausflug zum Tabellenführer macht man eben gerne – erst recht, wenn man einer der direkten Verfolger ist. Und mal ehrlich: Eine solche Situation hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Also ging es schon zu Beginn der Fahrt voller Zuversicht ins „Pelé-Wollitz-Gedächtnis-Stadion“. Und Zuversicht war Trumpf an diesem beginnenden Freitag Abend. Das zeigte schon die übliche Fachsimpelei auf dem Weg zum Spitzenspiel im Auto, in dem die unvernünftigen Tipps dominierten. Ein 1:0 für Aachen gehörte da schon den Pessimisten. Keine Ahnung, woher diese Hoffnung immer wieder kommt. Eigentlich müssten wir es mittlerweile besser wissen. Denn im vertändeln solcher Möglichketen haben wir mittlerweile schon so viel Routine, wie der Hackl Schorsch im Schlitten fahren.
Genährt wurde das Gottvertrauen allerdings noch zusätzlich, als wir das Stadion betraten. Alte Holztribüne, angeknabberte Sitzschalen und knarzende Lautsprecher in einem Stadion, das im „Marco-Reus-Fußball“ der Neuzeit gar nicht mehr als solches durchgehen würde, einem Alemannia-Anhänger aber ein Gefühl der Heimat gibt – vor allem dann, wenn das Fassungsvermögen nahezu komplett schwarz-gelb ausgeschöpft wird. In Deinem Kopf, der Ohrwurm: „Those were the days, my friend!“, in Deinem Magen ein Kribbeln und in den Lenden eine gute Hand voll Testosteron. Alemannia eben!
Der Tag schien also angerichtet – wenn da nicht immer dieser verfluchte Fußball wäre. Denn was kann mit Deiner Zuversicht schon passieren, wenn Fabian Graudenz nach 20 Minuten das Kunststück fertig kriegt, das Leder aus zehn Metern, fünf Meter drüber zu zimmern. „Atmosphärenschießen“ hieß das früher bei uns, als wir von schlimmen Katern gepeinigt am Strand der holländischen Küste Plastikbälle mit bloßen Füßen in die Höhe bolzten und uns diebisch über die getroffenen Möwen freuten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Jedenfalls wich die Zuversicht Minute um Minute, Torchance um Torchance. Viele verzweifelte und bibbernde Mienen um Dich herum. Denn viel zu lange sind wir alle dabei, als dass wir nicht wüssten, dass in so einem Spiel am Ende eine Viktoria-Ecke in den Alemannia-Strafraum segelt und einem dieser Drei-Meter-Hünen aus Pele Wollitz Viererkette das Ding gegen den Schädel prallt, um sich so zum 1:0 Sieg des Tabellenführers ins Tor zu verirren. Klarer Fall, dass genau das auch an diesem Freitag Abend in Höhenberg passieren würde.
Und dann sitzt Du da in Deinem angeknabberten Schalensitz und denkst, dass es auch heute ein Mal mehr wie immer ist, dass es auch heute nicht reicht. 87 Minuten hast Du gegen jede Vernunft gehofft, wie von Sinnen geschrien, bist völlig verzweifelt. Und Du hast das schon so oft erlebt. Fast bist Du schon ein alter Hase darin, diese Momente einzustecken – so eben auch heute. Sei´s drum. Du hattest den Moment mit der Parkplatzsuche und den nostalgischen Flash, als Du das Stadion betreten hast. Darin suchst Du Trost, darin und in dem guten Spiel, das die Jungs am Ende eigentlich gemacht haben. Genau in dem Moment, als Du schon wieder bereit bist, einzustecken, bekommt Dennis Dowidat den Ball am linken Strafraumeck. Und obwohl Du weißt, dass es hoffnungslos ist, rufst Du ihm zu, dass er das Leder abspielen soll – links raus. Er macht es nicht. Natürlich macht er es nicht. Stattdessen schießt er eher langsam als schnell und Du willst schon wieder runter in die grüne Schale – bis plötzlich das Netz wackelt, bis tatsächlich das Netz wackelt. Du brauchst ein paar Sekunden, doch dann explodierst Du, umarmst den dicken Typen vor Dir übermütig, schmeißt Deinen Jungen in die Luft und schnapst nach Luft, die Du nicht mehr kriegst. Ungläubig legst Du Hände auf den Kopf, den Du immer wieder schüttelst. Das Netz wackelt – wegen Dowidat! Du stehst im Auge des Sturms, mitten im Auge des Sturms! Und alle um Dich herum singen und tanzen – laut und doch hörst Du sie nur stumm. Und für diese eine Sekunde gibt es nichts, was noch besser wäre und Du weißt: Das Warten darauf – und das waren eben nicht nur diese 87 Minuten bis zu Dowidats Schuss –hat sich gelohnt!
Die anschließende Viertelstunde zu dem weit entfernten Parkplatz gerät fast schon zum Triumphzug, denn Du bekommst das eingemeißelte Grinsen einfach nicht mehr raus aus Deinem Gesicht. Aber das musst Du ja auch gar nicht. Es geht Dir so wie all den anderen um Dich herum und dann wird Dir plötzlich klar: einen Parkplatz in Orten wie Höhenberg suchen – da könnte man sich dran gewöhnen!
Diese Kolumne im Tivoli Echo erschien im November 2014 zum Heimspiel gegen en SV Rödinghausen.