Eigentlich

Die Alemannia-Kolumne

Artikel veröffentlicht in TORWORT-Senf am 20.11.2021
Erstellt von TORWORT - Die Fußball-Lesung

Eigentlich

Fünf dicke Dinger in Wuppertal – was klingt wie ein schlüpfriger Streifen aus den frühen Siebzigern mit Ingrid Steeger und Franz Mukeneder ist leider bittere Realität, wenn Dein Verein Alemannia Aachen heißt. Eine Kolumne über den Verein Deines Herzens ist nicht einfach in diesen Tagen. Worüber sollst Du schon schreiben, wenn Woche für Woche aufs Neue der Niedergang droht? Stadionwürste, Nieselregen oder Wellenbrecher interessieren in solchen Phasen ungefähr so viel wie fünf dicke Dinger außerhalb Wuppertals.

Auf der anderen Seite: Was soll Dich schon noch schocken, wenn die Katastrophe zu Deinem Fandasein so locker flockig dazu gehört wie das Doppel-D zu Loddar Matthäus? Denn mal ehrlich: In den letzten 15 Jahren gab es schon so viele Situationen, in denen alles zu Ende schien, dass man sie fast gar nicht mehr verdrängen muss. Sie gehen einfach in der Masse unter. Vermasselte Möglichkeiten, vertändelte Torchancen, hochverschuldete Gegentore, verdiente oder manchmal einfach nur unglückliche Niederlagen – wer kann sich schon noch eine Alemannia ohne all das vorstellen? Die junge Generation, die sagen wir mal 2009 oder 2010 zum ersten Mal ins Stadion gegangen ist, kennt Fußball am Tivoli gar nicht groß anders. Nicht, dass ich das romantisieren wollte – ganz und gar nicht. Aber mal ehrlich: Es ist nun mal die Zustandsbeschreibung der letzten Jahre. Nach einem Last-Minute-Gegentor in Karlsruhe warf ich einst meinen Fernsehsessel an die Wand meines Fußballkellers, weil sich mit diesem Treffer abzeichnete, dass der Abstieg aus der zweiten Liga besiegelt war. Das musste doch eigentlich das Ende sein – Abstieg aus Liga 2. Viel schlimmer konnte es doch eigentlich nicht werden. Eigentlich. Viel schlimmer kann es doch eigentlich nicht werden – genau das hatte ich schon ein paar Jahre vorher gedacht als Winnetou Koslowski zum 2:2 für Wolfsburg traf und damit das schönste Stadion aller Stadien zum Schweigen brachte. Abstieg aus Liga 1, klingt fast wie ein Luxusproblem aus heutiger Sicht. Damals war es eben ein schwerer und schmerzhafter Sturz – der erste von allen.

Niederlagen sind wie ein zäher Bluterguss. Mindestens bis zum nächsten Wochenende glaubst Du, dass Du nie wieder zurückkommst. So wie nur ein paar Augenblicke nach dem Abstieg in Liga 3, dem nämlich der Abstieg in Liga 4 folgte. Wieder alles im Arsch, wieder alles so kaputt wie die Frisur des holländischen Trainers, der sich immerhin mit aller Macht dagegengestemmt hatte – wie eigentlich alle. Eigentlich, da ist es wieder, dieses Wort. Viel schlimmer konnte es doch eigentlich nicht werden als damals. Eigentlich nicht.

Viel schlimmer konnte es eigentlich schon nicht werden als damals, als der Oberbürgermeister der Stadt debil lächelnd auf dem Bagger seines Vertrauens saß und mit erhobenem Daumen den S-Block abräumte – diese Gegengerade der Bedingungslosigkeit, die mindestens und so gar nicht eigentlich fehlt wie jede vordergründig wichtig erscheinende Liga-Zugehörigkeit. Viel schlimmer konnte es doch eigentlich nicht kommen. Eigentlich nicht, nein. Konnte es aber doch. Locker sogar. In Wuppertal zum Beispiel oder vielleicht gegen Fortuna Köln – wer weiß das schon? 

Eigentlich gibt es wenig Hoffnung in diesen Tagen. Fuat Kilic vielleicht. Aber was soll ein Trainer da schon ausrichten? Eigentlich nicht viel, aber was heißt schon eigentlich? Denn Wunder passieren eigentlich immer nur dann, wenn niemand mit ihnen rechnet. Eigentlich ausschließlich, wenn niemand mit ihnen rechnet. Fünf dicke Dinger in Wuppertal – was eigentlich klingt wie ein schlüpfriger Film aus den Siebzigern ist bittere Realität, wenn Dein Verein Alemannia Aachen heißt. Wird Zeit für einen Filmriss. Eigentlich schon lange. 

Diese Kolumne erschien anläßlich des mal wieder verlorenen Heimspiels der Alemannia gegen Fortuna Köln. Sie machte sich nicht nur Freunde auf der Geschäftsstelle.

Sascha Theisen

STAMMPLATZ-Gründer und Fußball-Romantiker