Zwiebeln zum Weinen bringen
Alter Schwede! Oder „Au Banan“, wie nicht der Schwede, aber dafür der Aachener zu sagen pflegt, wenn irgendwas doch wohl nicht wahr sein kann. Und wenn man diese Saison mit Alemannia mal so ganz Horst-Hrubesch-mäßig Paroli laufen lässt, trifft es das: Au Banan! Um wie viele Jahre ich in diesem Spieljahr mal wieder gealtert bin – keine Ahnung. Alemannia-Jahre sind eben keine Herrenjahre – auch dieses nicht. Gerade dieses nicht.
Dabei sah es doch eigentlich am Anfang gar nicht so schlecht aus. In der Saisonvorbereitung wurde ein Gegner nach dem anderen pulverisiert und man konnte wunderbar verdrängen, dass all die Opfer aus Ligen kamen, bei denen man mit zwei Packungen „Thomapyrin Intensiv“ noch selbst hätte mitkicken können. Aber egal – der Trainer brillierte in Podcasts und der Manager kaufte gleich die komplette Zweite vom Betzenberg. Ein Konzept ist ein Konzept. Da musste doch was gehen in dieser x-ten und vielleicht letzten Regionalliga-Saison. Tja – die letzte Regionalliga-Saison – hüstel, hüstel. Am Ende kam es wie so oft und nach großen Träumen im August, folgte der ernüchternde Herbst, in dem schnell klar wurde: Das wird etwas zäher als ein Podcast in diesem Jahr. Denn leider gab es ordentlich auf die Zwölf und aus einer zähen Saison wurde purer Existenzkampf. 13 Punkte zum Ende des Jahres – da hilft selbst kein Valium mehr, um in den Schlaf zu finden. Eigentlich ein Punktestand, der nicht mehr zu kitten war, sondern den direkten Weg in Liga 5 bedeuten musste – zumal: Wer würde sich denn zutrauen, den drohenden Untergang zu verhindern? Nachdem Chuck Norris dankend abgewunken hatte, um lieber weiter den Niagara Fall auszulösen und Zwiebeln beim Schneiden zum Weinen zu bringen, blieb im Grunde nur noch Fuat Kilic, um das Wunder zu vollbringen.
Aber allein konnte auch er das nötige Wunder nicht vollbringen. Es brauchte einen Schulterschluss bei allen, denen Alemannia etwas bedeutet. Und auch wenn es eigentlich kein Wunder ist, dass genau die sich gegen den Niedergang stemmten, ist eben doch eins, wie sie es taten. Denn plötzlich nahmen Söhne von Jahrhundert-Trainern spontane Gänsehaut-Videos während des Joggens auf, die sich an die Spieler und Fans der Alemannia richteten und nach deren Ansicht man am liebsten auf der Stelle ins Stadion gelaufen wäre, um auf der Stelle mit dem Abstiegskampf zu beginnen. Eingeschlafene Fanzines erwachten, Facebook-Gruppen wurden gegründet und kein Wochenende verging, an denen man nicht zu besonderem Support beim nächsten Spiel aufgerufen wurde. Und als endlich die Tribünen wieder geöffnet wurden, stand der harte Kern hinter Alemannia wie das nur in Vereinen wie diesen geht. Alles im Arsch, eigentlich keine Chance und plötzlich packt sie Dich wieder – das alte Mädchen, das Dir in den letzten Jahren auf Platz 9 oder 11 liegend auch schon mal herzlich egal war. Wenn sie aber vor dem Ruin steht, vor dem Sturz, dann macht sie wieder was mit Dir, weil sie nicht fallen darf, nicht in der Versenkung verschwinden darf. Viel zu groß, viel zu fabelhaft ist sie trotz allem immer noch. Und dann stemmst Du Dich dagegen, wie gegen Homberg, gegen Lotte, gegen Ahlen. Und plötzlich entsteht tatsächlich etwas, an das Du wieder glauben kannst – Spieler feiern Grätschen vor Kurven, lange verletzte Stürmer starten unfassbare 50-Meter-Solos mit Torabschluss und Kapitäne halten Megafon-Ansprachen auf niederrheinischen Dorfplätzen. Und plötzlich klingen die Chants von den Tribünen wieder so ehrlich wie seit Jahren, vielleicht seit Jahrzehnten nicht mehr. Schulterschluss!
Aber einen letzten Schritt, einen letzten Kraftakt, einen letzten Schulterschluss braucht es noch – drei Punkte gegen die zweite Mannschaft eines Zweitligisten. Klingt auf den ersten Blick mal wieder so klein, wie es nur klingen kann und doch ist es in diesem Jahr so viel größer als all die gehypten Europapokalschlachten im Bezahlfernsehen, größer als all die lächerlichen Weißbierduschen nach gähnenden Meisterschaften und größer als all die von Dollar schweren Scheichs finanzierten Premier-League-High-Noons, in denen Kloppos geschwungene Faust in Anfield die letzte vorgegaukelte Fußball-Wahrhaftigkeit sein soll. Am Tivoli sind heute Abend drei Punkte in der Verlosung, die so viel mehr bedeuten als all das. Drei Punkte, die zeigen würden, dass Schulterschlüsse zwischen Tribüne und Mannschaft noch zu etwas taugen, dass sich Hoffnung bei Alemannia doch noch lohnt, dass Gänsehaut-Videos in Aachener Wäldern nicht umsonst sind, dass Fuat Kilic größer ist als Chuck Norris. Drei Punkte dafür, dass Alemannia bleibt. Was für ein Spiel am Ende so einer Saison. Au Banan!
Diese Kolumne erscheint zum letzten Heimspiel der Alemannia einer nervenaufreibenden Saison – Gegner ist die Zweite von Fortuna Düsseldorf.