Große Pläne an der Theke
Kürzlich googelte ich ein Weltklasse-Wort: „Rahmenterminplan“. Es gibt Wörter, die sind so dermaßen deutsch, dass im Vergleich zu ihnen selbst eine Scheibe Kasseler mit Sauerkraut und Kartoffelbrei einen leicht südländischen Touch bekommt. „Rahmenterminplan“ ist so eins dieser Wörter, bei denen man den trockenen Staub der Amtsstube förmlich einatmet, selbst dann, wenn man es auch nur in Suchmaschinen eintippt. Und doch kommt man manchmal eben nicht ohne sie aus – zum Beispiel, wenn man einen Aufstieg plant. Denn ohne das Wort „Rahmenterminplan“ sind die nächsten 12 bis 15 Monate schwer zu takten – erst recht nicht, wenn es durch den nicht ganz unwichtigen Zusatz „Regionalliga West“ und „2023/24“ ergänzt wird. Es gilt große Dinge zu planen und damit kann man ja auch nun wirklich nicht früh genug anfangen.
Nachdem ich mir über die Karnevalstage in verschwitzten und leicht klebrigen Kneipen, in denen ich Bier aus trüben Gläsern trank, fast schon vorsätzlich eine Corona-Infektion eingehandelt hatte, bestand mein persönlicher Rahmenterminplan danach aus einer Couch in meinem Keller. Von ihr aus versorgte ich mich konsequent und weitgehend symptomfrei mit Netflix-Inhalten von Michael Jordan bis Marty Mc Fly. Auch Alemannias respektables Pokalspiel gegen Viktoria Köln musste ich von diesem Sofa aus verfolgen, während meine Tickets ausgerechnet am Aschermittwoch auf dem fernen Wohnzimmertisch verstaubten. Eine komplette Verlängerung in selbst auferlegter Quarantäne ist jetzt auch nicht das, was man einen echten Rahmenterminplan nennen würde, aber immer noch besser als Kasseler mit Sauerkraut. Die knappe Niederlage sorgte freilich doch für die ersten Symptome meiner Infektion und erst nachdem ich mich wieder freigetestet hatte, fand ich zurück ins wahre Leben. „Nächstes Jahr steigen wir auf!“, verkündete ich per WhatsApp in unsere Familiengruppe – vor allem, um meine Jungs bei der Stange zu halten, die schon die erste DFB-Pokalrunde vor sich hingeträumt hatten. Musste ich aber gar nicht, denn ihre digitale Zustimmung in die Gruppe, die eigentlich direkt aus einer Doppelstunde Bio oder Physik stammen musste, ließ nicht lange auf sich warten.
Apropos Karneval: Wenn Du in Köln die wilden Tage feierst, gibt es einen besonderen Moment – einen Moment, in all dieser schrägen und doch irgendwie geilen Gefühlsduselei, in der sich wildfremde Menschen in den Armen liegen, den ich besonders mag, weil sich dann die Spreu vom Weizen trennt. Es geht um den Augenblick, in dem das Lied läuft, das sie in der Stadt „Die Hymne“ nennen. Dabei geht es um ein schottisches Volkslied mit dem Originaltitel „The Bonnie Banks of Loch Lomond“, das ein bisschen schüttelreimig umgetextet wurde. Verbrochen wurde es von einer Kombo, die sich „De Höhner“ nennt, weil „De Räuber“ oder „De Paveier“ schon vergeben war. Immer wenn dieses Lied im Karneval läuft, finden sich all die Fans des 1. FC Köln zusammen, um ihren ganzen Pathos zu intonieren, was ihnen auch gegönnt und zugestanden sei. Andererseits finden sich aber in genau diesem Moment auch all die wenigen in der feierwütigen Kneipe, die ihr Herz anderweitig vergeben haben. Die treffen sich dann für einen kurzen Moment der Atempause an der Theke und kommen ins Gespräch. Dort tauschen sie ihre Vereine aus, erzählen sich in gut fünf Minuten ihre Träume und Rahmenterminpläne. So verbrüdern sich Eintracht Frankfurt-Anhänger mit denen von Hannover 96 und eben solchen von Alemannia Aachen. Man fragt sich gegenseitig, was noch drin ist in dieser Saison und wo es hingeht, so ganz allgemein. Kurz: Man findet, schätzt und mag sich, während all die anderen ihre Kölner Stadtteile besingen. „Nächste Saison steigen wir auf!“ rief ich in diesem Jahr an der Theke aus – so, wie ich es Tage später in unsere Familiengruppe schreiben sollte und da wusste ich ja nicht mal, dass es im Pokal nichts werden würde in diesem Jahr. Und ich sagte es mit einer Überzeugung, die wohl ansteckend gewesen sein muss. Denn der Eintracht-Anhänger an meiner Seite zögerte keine Sekunde mir schon jetzt mit mehr als einem Jahr Vorlauf zum Aufstieg zu gratulieren. „Das habt Ihr verdient“, rief er und prostete mir glücklich zu. Klar, dass auch ich mich nicht lumpen ließ und ihm meinerseits riet, das von ihm forsch angekündigte Champions League Finale in Istanbul auf keinen Fall nur vor dem Fernseher zu verfolgen, sondern natürlich unbedingt nach Istanbul zu fahren. Die wahren Träume wurden schon immer an der Theke geschmiedet.
Als ich in den Tagen nach Aschermittwoch „Rahmenterminplan“ und „Regionalliga West 2023/24“ googelte, verriet mir das Internet, dass die Aufstiegssaison im Sommer am letzten Juli-Wochenende beginnt und am 18. Mai 2024 endet. „Rahmenterminplan“ – ein Weltklasse-Wort!
Diese Kolumne erschien anlässlich des Heimspiels der großen Alemannia aus Aachen gegen den FC Bocholt im März 2023.