Atmen, Leute! Atmen!

Die Aufstiegskolumne

Artikel veröffentlicht in TORWORT-Senf am 26.04.2024
Erstellt von TORWORT - Die Fußball-Lesung

Atmen, Leute! Atmen!

Aufstiege sind selten – egal wo sie passieren. Sie lassen Dich atmen, ganz so, als hättest Du vorher Jahre lang die Luft angehalten. Sie sind die Erfüllung Deiner Hoffnungen und Träume, Belohnung für all die Nerven, die Du bei jedem Gegentor, bei jeder verpassten Torchance, bei jedem Fehlpass gelassen hast, für all das, was Du gegeben und woran Du trotz allem geglaubt hast. Und weil sie all das ungeschehen machen können, sind sie eben selten. Gäbe es sie öfter, könnte sie jeder jedes Jahr erleben – was wäre dann das Leben? Irgendwie ist das Leben auch, auf einen Aufstieg zu warten, wo vorher alles nur Hoffnung war. Aufstieg! Echt jetzt? 

Mit Alemannia stehe ich persönlich bis heute Nachmittag erst bei zwei Aufstiegen, der dritte klopft gerade fest an. Drei Aufstiege, immerhin. Das ist schon mal mehr als lebende Bayern-Fans so zu erzählen haben. Natürlich kann man ihnen das nicht groß vorwerfen. Bedauern kann man sie aber schon. Denn klar: Eine Meisterfeier oder von mir aus zwanzig davon sind sicher auch ganz nett, glaube ich jedenfalls, denn da stehen wir ja noch für gut drei Jahre bei Null. Wie wird das schon sein? Du bekommst die Schale, fährst zum Rathausbalkon, reckst das Ding in die Höhe und kannst sagen, dass Du in etwas der Beste in ganz Deutschland bist. Ja, ja – klingt nett. Aber mehr als die kleine Schwester von Scheiße ist das am Ende auch nicht. Denn mal ehrlich: Was ist das schon gegen einen Aufstieg? Egal in welcher Liga. Denn ein Aufstieg bedeutet, dass Du den kleinen Mann in Deinem Kopf loswirst, der da all die Jahre mit seinem kleinen Hammer dumpf gegen Deine Schädeldecke geschlagen hat. Wer aus der Jauchegrube auftaucht, hält das Aroma am Elisenbrunnen für die Sexualdrüse des Moschustieres. Oder anders gesagt: Je härter der Aufstieg, desto schöner die Aussicht. 

In meinem persönlichen Spiel der Abstiege gegen die Aufstiege steht es momentan 4:2 für die Abstiege. Bei einem zerschellte ein Fernsehsessel an einer Kellerwand, weil Eintracht Frankfurt trotz einer Voodoo-Puppe, die an meinem Fernseher baumelte, partout nicht in Karlsruhe gewinnen wollte. Damals ging die Scheiße los, die wir erst heute dreilagig abwischen, wenn wir auf 3:4 verkürzen. Aber wer will an einem Tag wie heute schon über Abstiege sprechen? 

Die Aufstiege waren anders, ganz anders – berauschend, aufwühlend und vor allem waren sie herzzerreißend, wenigstens der erste. Taumelnd zwischen Trauer und Freude, immer wieder abwechselnd zwischen Schweigeminute und totaler Eskalation. Nie werde ich die langgezogenen „Werner Fuchs – Du bist der beste Mann“-Gesänge vergessen, die durch das Stadion, über den Marktplatz und direkt durch mein Rückenmark gingen. Eiskalt lief es mir am vergangenen Samstag wieder den gleichen schwarz-gelben Rücken runter, als unser aktueller Trainer einen Chant auf den Aufstiegstrainer der Aufstiegstrainer, dem er nun nachfolgt, anstimmte. Keine Frage – auch an Tagen wie diesen sollte niemand einen wie Werner Fuchs vergessen. Bei meinem zweiten Aufstieg stand ich mitten auf der Krefelder Straße, feierte dort mit Tausend anderer Bekloppter eine unglaubliche Mannschaft, die dort oben auf der Fußgängerbrücke, unweit der knarzenden Holztribünen des alten Tivoli, ein Jahr nach dem Pokalfinale in die Bundesliga tanzte. Aufstiege sind selten, aber nicht viel kann es mit ihnen aufnehmen.

Jetzt also der dritte Aufstieg, der es mit den anderen beiden locker aufnehmen kann. Nach Niederlagen, die sich in die anfängliche Hoffnung frästen wie einer dieser windelweichen Abba-Songs in meinen Gehörgang, wenn ich irgendwo ein Radio einschalte und nicht auf „Dancing Queen“ vorbereitet bin. Und plötzlich, als ich noch darüber nachdachte, ob ein Trainerwechsel so früh in der Saison wirklich eine gute Idee sei, fallen die ersten faden und glücklichen Heimsiege, so dass ich mich so ganz heimlich wieder beim Träumen erwische. Und um ehrlich zu sein, frage ich mich manchmal immer noch, ob ich die Last-Minute-Elfmeter von Anton Heinz gegen Düren oder den von Mark Brasnic auf Schalke nicht doch eigentlich nur geträumt habe, so wie Pamela Ewing einst all die Folgen ohne Bobby. Gab es den Abstauber aus dem Gewühl bei nasskaltem Dezember-Wetter von Mika Hanraths gegen Lippstadt wirklich? Ist er tatsächlich der vielleicht beste Kapitän seit Erik Meijer und Reiner Plaßhenrich? Trat Anton Heinz wirklich diese unfassbaren Freistöße in Wuppertal? Und kann es wirklich sein, dass er den letzten davon mit Wadenkrämpfen in den Winkel bugsierte? Traf Robin Afamefuma gegen Düsseldorf wirklich direkt nach seiner Einwechslung, ganz so, als wollte er meinen Beflockungsmut zu Beginn der Saison belohnen, als ich mir seinen Namen auf mein Trikot schweißen ließ, nur weil ich irgendwo gelesen hatte, dass er aus Aachen kommt? Und waren die Ränge am Tivoli nach all den langen Jahren, in denen man sich auf dem Weg zum nächsten Heimspiel fragte, ob diesmal wohl mehr als 5.000 andere kommen würden, wirklich voll? 

Wie oft habe ich mir in all den Jahren vorgestellt, wie es wohl sein würde, wieder aufzusteigen. Wie alt würden meine Jungs sein? Wie alt ich? Würde ich es überhaupt noch mal erleben, was bei zwei zwischenzeitlich Insolvenzen eine durchaus berechtigte Frage war. Würden all die Träume und Hoffnungen tatsächlich noch einmal belohnt werden? 

Fühlt sich an, als hätte man all die Jahre die Luft angehalten. Atmen, Leute! Atmen! Echt jetzt?

Diese Kolumne erschien im Tivoli Echo am 27. April 2024, als die große Alemannia aus Aachen endlich die Regionalliga West verließ – ein Tag auf den viele Menschen lange warteten.

Sascha Theisen

STAMMPLATZ-Gründer und Fußball-Romantiker