Daumen-Transfers

Die Kolumne für die wo den Fußball lieben

Artikel veröffentlicht in TORWORT-Senf am 05.02.2021
Erstellt von TORWORT - Die Fußball-Lesung

Daumen-Transfers

Alemannia-Transfers erreichen mich mittlerweile in beiläufigen Nebensätzen auf dem Weg vom Sofa zur Toilette. Einer meiner Jungs geht dann meist mit dem Blick auf seinem Smartphone in Richtung Kühlschrank an mir vorbei, um da die Lage zu checken. Der zeitgleiche Blick – Smartphones sind übrigens das Ende der Legende das männliche Geschlecht könne keine zwei Dinge gleichzeitig erledigen – auf Insta verrät: Alemannia hat auf dem Transfermarkt zugeschlagen. „Papa – Alemannia hat zwei neue Stürmer!“ Kurze Info für den alten Herrn, kurze und beindruckend beiläufige Bewegung des Sohnes mit dem Insta-Daumen und schon darf sich der neue Torjäger willkommen fühlen. Die Zeiten haben sich geändert in der leicht gemäßigten Fanszene. Während der Alte sofort in die weitere Recherche einsteigt und schaut, wie oft der Neuzugang wohl schon in seiner Karriere ins Schwarze getroffen hat und akribische Hochrechnungen anstellt, was in den nächsten Monaten in der Hinsicht von ihm zu erwarten ist, ist das Thema für die Jugend spätestens am Kühlfach weitestgehend durch. 

Meinen Daumen hob ich diese Woche für meinen ganz persönlichen Mann der Woche und der kommt aus Paderborn, der Stadt, die ihrerseits bei Insta immerhin 17.400 Daumen sammelt und dort hauptsächlich Häuser und Parkbänke teilt. Ich hatte schon immer irgendwie ein Faible für intuitiv unterschätze Städte und für unglückliche Verlierer, weil das ja oft zusammenhängt. Sie hauen meist alles rein, was sie zur Verfügung haben, um das eigene Bein ab und zu gegen die ganz großen Hunde zu heben und das imponiert mir. Als der Wahl-Paderborner Steffen Baumgart am letzten Dienstag fulminant in die TV-Kameras wütete, ging mir folgerichtig das Herz auf. Denn da wurde nicht nur mein Underdog-Fetisch bedient, es blitzte für einen kleinen Moment auch noch mal der Fußball auf, den ich immer noch sehr liebe, trotz all dem elenden Frust, den leere Stadien und geleakte Superstar-Verträge über mich ausschütten. Wütend schnaubte der Mann einen Satz für die Ewigkeit ins TV-Mikro, der mich seitdem nicht mehr loslässt: „Ich bin keine Aktiengesellschaft!“ Ich sprang trotz der arg fortgeschrittenen Uhrzeit, die man in meinem Alter auch nicht mehr so leicht wegsteckt, sofort aus dem Sofa und feierte den guten Mann auf den Knien, als den Hoffnungsträger für ein etwas besseres Leben, wenn man wieder daran teilnehmen darf.

Ob Steffen Baumgart auch einen Mann namens Terence Groothusen in seinem persönlichen Notizbuch stehen hat, ist eher eine Frage für Kraken aus Oberhausen oder für Karl Lauterbach, gestellt von Markus Lanz. Am Ende ist das aber auch egal. Jedenfalls war und ist Terence so etwas wie der zweite Mann dieser Woche für den ich meinen Daumen tippe, erhebe oder von mir aus auch in die Höhe strecke – je nach Medium eben. Denn sein Transfer zu Alemannia ist der Inbegriff eines Spielerwechsels wie ich ihn mag: ein hünenhafter und leicht geheimnisvoller arubianischer Nationalspieler, der in der Provinz Straelen, in der man nun wirklich keine Aktiengesellschaft finden dürfte, konsequenterweise scheiterte und nun am Tivoli, wo all die vermeintlichen Experten ihm wahrscheinlich nicht mehr viel zutrauen und ihn deshalb wohl schon als Randnotiz abschreiben, sein Glück versucht. Ich schreibe ihn nicht schon ab! Ganz im Gegenteil. Ich mag gerade solche Transfergeschichten, die jeden Spielraum für das geistige Auge lassen, vor dem plötzlich und ausgerechnet in Aachen ein Knoten platzt, der vor verwirrenden Windungen schon so gordisch war, dass sich der gleichnamige König Gordios, der wie wir alle wissen dem Knoten einst den Namen gab, im Grab herumdrehen müsste. Ich weiß jedenfalls jetzt schon, dass ich dem Mann in Zukunft die Daumen noch ein bisschen mehr drücke und doppelklicke als ohnehin schon jedem Stürmer, der am Tivoli in gelb-schwarz stürmt. 

Außerdem habe ich gleich mal meine Insta-Aktivitäten auf Vordermann gebracht und folge auf dem Netzwerk meiner Jungs nun der Tourismusseite Arubas, der Stadt Paderborn und Terence Groothusen. Man muss ja auf dem Laufenden bleiben. Von Steffen Baumgart habe ich nur einen Hashtag gefunden. Aber der ist ja auch keine Aktiengesellschaft. 

Diese Kolumne erschien anläßlich des Heimspiels der großartigen Alemannia aus Aachen gegen die Zwote von Fortuna Düsseldorf – auch so ein Verein…

Sascha Theisen

STAMMPLATZ-Gründer und Fußball-Romantiker