Blank auf dem Zaun

Artikel veröffentlicht in TORWORT-Senf am 03.09.2021
Erstellt von TORWORT - Die Fußball-Lesung

Blank auf dem Zaun

Man muss ehrlich sein: Oberhausen ist jetzt nicht so richtig geil. Ein Einkaufszentrum und dann wird es eigentlich auch schon eng. Man erkennt das am besten am Wikipedia-Eintrag der Stadt. Denn wenn der schon selbstsicher darauf hinweist, dass die Stadt der „Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen“ angehört, ist offenbar ganz schnell Schicht im Schacht an der Ruhr. Aber zum Glück gibt es ja noch RWO und die Stadionwurst des Vereins, die nicht zu Unrecht als beste Fußballwurst im deutschen Fußball gilt, was auch die weitläufige Laufbahn im weitgehend unbedachten Stadion nicht schmälern kann. Wobei in all den Jahren genoss ich die gute Oberhausener nur ein einziges Mal, um Alemannia zum Auswärtssieg zu essen. Es war damals kurz vor dem Saisonende und dem Pokalfinale. Mit einem Sieg konnte seinerzeit der Traum vom Aufstieg am Leben gehalten werden. Und Stefan Blank tat mit zwei Toren genau das. Bengalos in der Kurve, Blank auf dem Zaun und der ewige Traum vom Aufstieg in den Köpfen – es gibt schlechtere Erinnerungen als diese, auch wenn der Aufstieg danach noch gut zwei Jahre auf sich warten ließ. 

Aber denke ich an Oberhausen und dieses eine Mal, als ich da war, denke ich neben Stefan Blank auch an einen anderen Spieler – einen allerdings, der nie das Trikot der Alemannia trug und auch zu besagtem Zeitpunkt schon nicht mehr für RWO auflief: Chiquinho. Ja, was macht eigentlich Chiquinho? Also – nicht der echte Chiquinho. Über den wüsste Wikipedia sicher auch einiges zu berichten, wenn ich nicht darauf verzichten würde es dort zu suchen. Nein, ich meine den Chiquinho, der damals auf dem Weg vom Stadion zurück zum Parkplatz vor uns herging. Er hatte nicht die Statur des echten und sah auch sonst ganz anders aus. Aber er trug ein RWO-Trikot mit dessen Namen auf dem Rücken, worauf man eben auch erst einmal kommen muss. Aber es gibt Menschen, die können solche Trikots tragen. Er war so einer. Keine Frage: Dieser Typ auf dem Rückweg zum Parkplatz hatte Haltung – nicht körperlich, aber durch das Trikot, das er trug, eben auf einer irgendwie moralischen und gleichzeitig spirituellen Ebene. Mehr geht eigentlich nicht – wenigstens nicht an Orten wie Oberhausen.

Blanks Doppelpack hatte ihm zugesetzt. Das sah man, trotz all der untertreibenden Überlegenheit, die er ausstrahlte. Er sprach intensiv mit sich selbst über die Niederlage, die seinem Verein die letzte Aufstiegschance genommen hatte. Ich habe mich lange gefragt, ob er gemerkt hatte, dass wir unsererseits über ihn sprachen und Späße über den echten Chiquinho machten, der nur dieses eine Jahr in Oberhausen gespielt hatte und nun zum Ende der Saison längst nicht mehr im Kader stand. Wahrscheinlich hatte er das, aber er ließ sich nichts anmerken – zu intensiv arbeitete er das Spiel im Zwiegespräch mit sich selbst auf. Stattdessen trottete er weiter mit hängendem Kopf zu seinem Wagen und haderte bis zur Fahrertür mit seinem Schicksal. Deinen Fußballverein suchst Du Dir nicht aus. Dieser Satz klingt überragend, wenn Dein Verein Alemannia Aachen, Schalke 04 oder von mir aus Eintracht Braunschweig heißt – aber Rot-Weiß Oberhausen? Sicher hatte er sich das nicht ausgesucht. Ein Grund dafür wäre auch schwer vorstellbar. RWO wurde ihm also gegeben. Und er hatte dem Ganzen eine Krone aufgesetzt mit diesem Trikot, auf dem der Name eines Hoffnungsträgers stand, der so zuverlässig verblüht war, wie es letztlich nur Brasilianer können.

Irgendwie hatte es das Schicksal so gewollt, dass unsere Wagen nebeneinanderstanden und wir uns deshalb tatsächlich noch einmal kurz in die Augen schauten, bevor jeder von uns seiner Wege ging, die bis heute in die Regionalliga West führen sollten. Über das Blechdach seines etwas zu alten Audi 80 in silber-metallic schaute er zu uns rüber und rief plötzlich wie selbstverständlich: „Alles Gute gegen Ahlen!“. Dann verschwand sein Kopf im Inneren der Karosse und er brauste davon. Er hatte den nächsten Spieltag im Kopf gehabt und noch bevor ich ihm alles Gute für das nächste RWO-Spiel wünschen konnte, wovon ich natürlich nicht ansatzweise wusste gegen wen das sein würde, war er auch schon in der Staubwolke seines Audis und damit in der Ewigkeit verschwunden. Ich schüttelte leicht lächelnd den Kopf und dachte an Stefan Blank auf dem Zaun, an die Bengalos und träumte vom Aufstieg.

Eigentlich doch ganz geil, dieses Oberhausen!

Diese Kolumne erschien zum zweiten Heimspiel der phantastischen Alemannia aus Aachen gegen RWO, das mit 1:3 verloren ging.

Sascha Theisen

STAMMPLATZ-Gründer und Fußball-Romantiker