Verzweiflung oder Hoffnung
Der englische Schauspieler und Godfather von allem, was lustig ist, John Cleese, ist eher bekannt durch die Erfindung eines eigenartigen Gangs als durch seine Liebe zum Fußball. Trotzdem fiel mir neulich ein Satz von ihm vor die Füße, der meine Gemütslage in Sachen Alemannia bestens auf den Punkt bringt. Das Fachmagazin 11Freunde zitierte ihn mit dem Satz „Verzweiflung kann ich gut aushalten. Es ist die Hoffnung, die ich nicht ertrage.“.
Dieser Satz beschreibt genau dieses Gefühl, mit dem ich in diesen Tagen, in die wohl wichtigste Rückrunde der Vereinsgeschichte gehe. Oder um es mit Nick Hornby, einem weiteren Engländer und Verzweiflungsforscher, zu sagen „Verzweiflung ist der natürliche Grundzustand eines Fußballfans“. Mit Verzweiflung lebt man also eh seit Jahren. Kein Problem also, aber die Hoffnung auf bessere Zeiten ist in einem Jahr, in dem es gegen den Abstieg aus der Regionalliga geht, eher schwierig. Und trotzdem ist sie so etwas wie der Anker, der Dir ein bisschen Halt gibt in Zeiten, in denen Zuversicht so brüchig ist wie einst ein Sprint von Benny Auer außerhalb des Sechszehnmeterraums.
Also lag ich zuletzt wach und überlegte ein bisschen zu angestrengt, was denn eigentlich Hoffnung machen könnte, auf eine Rückrunde, in der Alemannia doch noch mal mit einem blauen Auge davonkommt. Und am Ende fiel mir tatsächlich mehr ein als ich vorher so gedacht hätte. Ein erster Hoffnungsschimmer in einer Winterpause sind zunächst immer schon mal die Neuzugänge – das ist auch in weniger brisanten Zeiten so. Wenn ein neuer Stürmer in der Mittelrheinliga mehr als ein Mal pro Spiel geknipst hat, will ich den Fan sehen, bei dem nicht die Torjägerkanone vor dem geistigen Auge auf und ab fährt. Nicht viel anders ist das bei mir. Vielleicht ist es ja ausgerechnet Ergün Yildiz, der am 7. Mai im letzten Heimspiel gegen die Zweite von Fortuna Düsseldorf vor gut 30.000 Zuschauern das entscheidende Tor zum umjubelten Klassenerhalt an der Eckfahne abfeiert, während das Stadion um ihn herum eskaliert. Sagen wir mal zehn Minuten vor Schluss und fünf Minuten vor dieser unfassbaren Rettungsaktion von Alexander Heinze, wenn der für den schon geschlagenen und bis dahin überragenden Joshua Mross per Monstergrätsche auf der Torlinie rettet. Also mal ehrlich: Wofür sind Neuzugänge sonst da?
Nächster Hoffnungsschimmer wäre die Jahreszeit, in der es um die Wurst geht. Als Hobby-Aerologe, zu dem ich in den letzten zwei Jahren geworden bin, sollte spätestens ab März oder April wieder eine entschlossene gelb-schwarze Wand hinter Alemannia stehen dürfen. Vielleicht nicht gleich 30.000 wie dann gegen Düsseldorf, aber fünfstellig könnte es dann doch schon mal werden, wenn es um die Existenz geht. Das wäre dann mindestens ein Mann mehr im direkten Vergleich mit den Schalke Amateuren, Bergisch Gladbach oder dem VfB Homberg. Der nächste und vielleicht der größte Hoffnungsschimmer hängt sehr mit einer solchen Kulisse zusammen. Denn das sind all die Menschen, die so sehr mit Alemannia fiebern und die jeden Tag mit ihr aufstehen. Die darf der Fußballgott nicht ignorieren. Es sind die Menschen, die minutenlange Gänsehaut-Monologe mit ihrem Smartphone aufnehmen und in den sozialen Netzwerken teilen. Es sind diejenigen, die dort in emotionalen Appellen zu totalem Support aufrufen und es sind sogar die, die ihre Verzweiflung in wütenden Kommentaren auf Facebook, Insta oder in irgendwelchen Foren in die Fußballwelt schreien. Gelingt es diesen Menschen ihre Verzweiflung, ihre Leidenschaft und auch ihre Wut in bedingungslosen Support zu verwandeln, wird Yildiz wahrscheinlich tatsächlich treffen und Heinze wird vielleicht genau dadurch wirklich zur Monstergrätsche gepusht. Und dann tragen wir Fuat Kilic am Ende vielleicht doch noch auf Schultern über den Rasen des Tivoli, weil er gerettet hat, was eigentlich nicht zu retten war.
„Verzweiflung kann ich gut aushalten. Es ist die Hoffnung, die ich nicht ertrage.“ Das soll John Cleese gesagt haben. Wenn ich es mir aber am Ende dieser Kolumne so überlege, liegt er nicht ganz richtig damit. Denn irgendwie ist es eben gerade die Hoffnung, die mich überleben lässt. Neuzugänge, Torjägerkanonen, Monstergrätschen, ausverkaufte Ränge, ein Trainer auf den Schultern der Fans, ein tobendes Stadion und gleich danach die Hoffnung auf eine neue, eine bessere Saison. Man sollte groß denken! Denn klein wird es von allein! Wer das gesagt hat? Keine Ahnung! Ist auch scheißegal – packen wir es an! Come on Aachen!
Diese Kolumne erscheint am 22. Januar im Tivoli Echo anläßlich des ersten Heimspiels der wichtigsten Rückrunde für die großartige Alemannia aus Aachen gegen den schlafenden Riesen aus Lippstadt.