Gleißende Mittwochabende

Artikel veröffentlicht in TORWORT-Senf am 16.02.2022
Erstellt von TORWORT - Die Fußball-Lesung

Gleißende Mittwochabende

Was wäre der Mittwoch ohne den Fußball? Wahrscheinlich ein stinknormaler Wochentag – so farblos wie ein Abba-Song. Der Mittwoch markiert halt die Mitte der Woche. Ist sein Schicksal. Das kann man ihm am Ende auch nicht wirklich vorwerfen. Zwei Tage geschafft, zwei vor der Brust, Mittwoch. Ziemlich trostlos eigentlich. Belanglos. Aber der Mittwoch hat großes Glück gehabt, denn irgendwann vor, was weiß ich wie langer Zeit hat der liebe Gott die englische Woche erfunden. Eine Woche, die es in England, dem sie gutgeschrieben wird und wo sie mit absoluter Hingabe in ungefähr zweitausend Pokalwettbewerben gelebt wird, eigentlich nur im Cricket gibt. Im Fußball dagegen bezeichnet man das, was man hierzulande unter einer „englischen Woche“ versteht recht spröde als „Three-Game-Week“. Der Mittwoch dürfte dankbar sein, dass es diese Woche gibt, wie auch immer sie hier oder in England letztlich genannt wird. Hauptsache, es gibt sie. Sie hat ihm den Arsch gerettet. Denn an einem Mittwoch, an dem gespielt wird, wird aus dem spröden Tag in der Mitte der Woche ein Spieltag. Meist sind es kitzelige Pokalspiele – nationale oder internationale. Und manchmal sind es nachgeholte Meisterschaftsspiele. Mittwochsspiele sind eigen, vielleicht nicht unbedingt besser. Aber in jedem Fall sind sie bedingungsloser.

Es fängt damit an, dass Du im Grunde Deine Woche danach planen musst. Du musst für sie vorarbeiten und anschließend nacharbeiten, nur um pünktlich im Stadion zu sein. Und pünktlich heißt an einem Mittwoch gerade rechtzeitig zum Anpfiff. Denn mittwochs fehlt die Zeit, Deinen Plastikbecher entspannt bei einem Plausch an der Betontreppe zu leeren. Stattdessen musst Du hetzend zwei Stufen auf einmal nehmen und dabei gleichzeitig den noch vollen Becher ausbalancieren, damit nichts verschüttet – nur um die ersten Momente des Spiels nicht zu verpassen. Vorbei an all den anderen eher hektischen Typen drängst Du Dich zu Deinem Platz. Erst da angekommen, kannst Du Dich zum ersten Mal mit den Begebenheiten vertraut machen. Vorher warst Du viel zu sehr mit der Zeit beschäftigt. Und hey: Die Begebenheiten sind gar nicht mal schlecht. Allein das Licht ist alle Mühen wert. Denn ein Mittwochabend im Stadion ist immer perfekt ausgeleuchtet, Er findet unter Flutlichtmasten statt, die ihr Bestes geben. Mehr noch: Sie spenden das vielleicht beste Licht überhaupt. Der Rasen hat eine andere Farbe als sonst. Selbst die Ränge wirken leicht glänzend durch den angestrahlten Beton. Gleißend, sagt man. Auch so ein Wort, das am besten zu einem Mittwoch in einer englischen Woche passt, weil an anderen Tagen und erst recht nicht an einem ganz normalen Mittwoch viel gleißt, wenn es das Wort gibt. Wenn Spieltag ist aber schon. 

Gleißend ist meistens auch die mittwochliche Atmosphäre, die – wenn ich sie gerade nicht hoffnungslos verkläre – einen guten Deut fatalistischer ist als sonst, ein bisschen bedingungsloser. Höchstens ein Freitag kann es mit einem Mittwoch aufnehmen. Aber der ist auch ein bisschen betrunkener als der Mittwoch. Das ist leicht. Es ist aber der Mittwoch, an dem man Eier aus Stahl zeigen muss. Und wer kann, der kann eben. Und dann halt auch richtig.  

Auch der Fußball selbst ist meist eine Idee weit kämpferischer – ganz so als wüssten die Spieler, dass sie ein bisschen kaltblütiger, ein bisschen schmutziger arbeiten müssen. Ich erinnere mich an einen Mittwoch vor Jahren als Energie Cottbus unter dem typischen Mittwochslicht, das die Mäste auf den Rasen warfen, niedergerungen wurde – maximal schmutzig, maximal bedingungslos, maximal Mittwoch. Nach dem Spiel sah ich eine Handvoll Familienväter, die an diesem Tag allein da waren, mit breit ausgestreckten Armen in den kalten Mittwoch hinein brüllen. Jeder für sich, aber alle gleich – in leicht gestresstem Teint, müde, aber trotzdem ganz bei sich. Kein Wochenendvergnügen, kein Zeitvertreib, keine Muße – einfach nur Fußball, sonst nichts. Ein Mittwoch eben. Schön, dass es solche Tage gibt. 

Diese Kolumne erschien im Tivoli Echo anläßlich des Heimspiels der sich rettenden Alemannia aus Aachen gegen den VfB Homberg.

Sascha Theisen

STAMMPLATZ-Gründer und Fußball-Romantiker