Darauf ein Hanuta

Artikel veröffentlicht in TORWORT-Senf am 18.11.2022
Erstellt von TORWORT - Die Fußball-Lesung

Darauf ein Hanuta

Der größte Alemanne bei Weltmeisterschaften? Vielleicht der Lutscher? Hm – ja, absolut ein Kandidat. Hätte Torsten Frings dem argentinischen Betreuer im Viertelfinale von Berlin nicht eine verpasst, wäre er wahrscheinlich längst Weltmeister und seinerzeit mit dem goldenen Pokal von einem Traktor gezogen durch Würselen gefahren. Ein weiterer Kandidat, der leider wenigen verfügbaren WM-Alemannen ist, ein anderer Würselner: Häuptling Silberlocke oder Jupp Derwall, wie seine Frau ihn nannte. Zwar kickte der Mann als Spieler bei keinem kontinentalen Turnier mit. Dafür war er als Trainer aber mal sowas von mittendrin im WM-Geschehen, dass selbst einer wie Torsten Frings nur schwer mitkommt. 1974 Weltmeister als Co-Trainer. 1978 erneut als „Second Jefe“ das Ding in Cordoba mitvergeigt und 1982 endlich als Chef auf der Bank ins Finale eingezogen. Das muss ihm erst einmal jemand nachmachen – generell und am Tivoli eh. 

Denke ich an Weltmeisterschaften, denke ich auch wegen Derwall und Frings vor allem an Hanuta, die kleine Schwester von Duplo. Denn früher steckten zwischen den Haselnuss-Schnitten und dem wenig klimatauglichen Goldpapier, das sie streng von der Schokolade trennte, Klaus Fischer, Pierre Littbarski oder Klaus Augenthaler. Und in Jahren wie 1982, 2002 oder 2006 fischte man eben sogar mal Ex-Alemannen aus der Packung und freute sich diebisch, wenn man Derwall oder Frings doppelt hatte und sie so auf dem Schulhof gegen zwei Rummenigges oder drei Schweinsteigers tauschen konnte. Keine Frage: Neben dem obligatorischen Panini-Album musste vor jedem Eröffnungsspiel auch das Duplo/Hanuta-Album komplett sein, sonst – das war klar – würde Deutschland im Leben nicht Weltmeister werden können. Derwall hin. Frings her. Schon Wochen vor einem Turnier lernte ich Spielpläne und mithilfe meines veritablen Stapels an doppelten Panini-Bildern die Kader aller Mannschaften auswendig. Hanuta hatte halt nur die deutschen Spieler im Angebot.

Weltmeisterschaften gaben meinem Fußball-Leben lange einen Sinn – so wie Anke Düppengießer der vierten Klasse, Pearl Jam den frühen und Mario Krohm den späten Neunzigern oder Samantha Fox der Pubertät. Bis heute geben mir große, längst vergangene WM-Momente das Gefühl wenigstens hier und da angekommen und nicht mehr auf der Suche zu sein, wenn ich wie jetzt an sie denke. Und dabei ist es eigentlich egal, ob sie mit Sieg oder Niederlage verbunden sind. Tardellis Jubel im Bernabeu und die Tränen danach, Völlers Locken mit Rijkaards Spucke in San Siro, Fischers unsterblicher Fallrückzieher über dem Boden von Sevilla, Brehmes Elfmeter von Rom, Burruchagas Innenrist in Mexiko-City und selbst Udo Jürgens oder Michael Schanzes Schüttelreime begleiteten meine Kindheit und verabschiedeten mich ins Erwachsenenleben, in dem ich später mit Brasilianern auf der Straße tanzte, in den besten Kneipen der Welt epische Titel feierte und mich an sommerlichen Dienstagabenden für Senegalesen, Tschechen oder Iren freute. Weltmeisterschaften waren die beste Erfindung der Welt. 

Wenn Alemannia an diesem Samstag gegen Kaan-Marienborn spielt, ist einen Tag später das Eröffnungsspiel der 22. Fußball-Weltmeisterschaft. Der Gastgeber spielt gegen Ecuador und es ist mir völlig egal. Wie das so weit kommen konnte, wird derzeit in täglichen Fernseh-Dokus und in zahlreichen Leitartikeln bestens erzählt, so dass man es in einer Kolumne für ein Stadionheft auch nicht mehr großartig neu erfinden muss. Jedenfalls verleitet mich diese WM und das, wofür sie steht zu einem Satz, den ich so auch nie für möglich gehalten hätte: Danke lieber Gott! Danke für die Regionalliga West! Nicht, dass ich die Regionalliga je so innig geliebt hätte wie einen Fallrückzieher oder einen Schlenzer von Andi Brehme. Ganz im Gegenteil, eigentlich zähle ich seit Jahren die Tage bis wir ihr endlichen entwachsen. Aber während der Bundesligen in diesem November pausieren, spielt Alemannia eben genau in dieser Regionalliga munter weiter – gegen Kaan-Marienborn, gegen Wipperfürth, Oberhausen und Düren. Und ganz im Gegenteil zur WM kann ich es kaum erwarten bis in Wipperfürth endlich angepfiffen wird. Und mal ehrlich: Der Spielplan klingt doch mal nach einer astreinen Alternative, auf die man sich einigen kann. Darauf ein Hanuta. Tausche einen Jannik Mause gegen vier Messis und einen Imbongo gegen fünf Mbappés. Mindestens. Denn eins ist auch klar: Der Größte war eh Jupp Derwall. 

Diese Kolumne erschien anläßlich des Heimspiels der phantastischen und an der Tabellenspitze schnüffelnden Alemannia aus Aachen gegen den Riesen aus Kaan-Marienborn.

Sascha Theisen

STAMMPLATZ-Gründer und Fußball-Romantiker