Das Dressing für Deinen Kopfsalat

Artikel veröffentlicht in TORWORT-Senf am 05.05.2023
Erstellt von TORWORT - Die Fußball-Lesung

Das Dressing für Deinen Kopfsalat

Eine gute Dekade bin ich nun schon Jugendtrainer in der Fußball-Kombo des lokalen Fußballvereins am Ort, in dem ich lebe. Angefangen habe ich mit kleinen vielversprechenden Jungs im F-Jugendalter, gelandet bin ich bei nicht mehr ganz so vielversprechenden Jungs im A-Jugendalter. Mit der zweiten Mannschaft des Jahrgangs spielte ich letzten Samstag unter Flutlicht und viel Getöse gegen den Abstieg. Wir verloren, weil ich solche Spiele immer verliere, wie meine Frau mir nachher erklärte. Ich begründete es eher damit, dass mein Torwart kurz vor Schluss auf einer nicht vorhandenen Bananenschale ausrutschte und dabei den Ball direkt gegen den Kopf des vor ihm stehenden Stürmers löffelte, von wo aus er im Zeitlupen-Tempo über die Linie kullerte. Zwei Versionen, eine Aussage. Abstiege machen keinen Spaß, aber immerhin schreiben sie Geschichten des Untergangs, auf die Du im Leben nicht kommen würdest. Fußball kannst Du Dir sowieso nicht ausdenken, weil es am Ende eben immer komplett anders kommt. Wer wüsste das besser als jemand, der sein Herz an Alemannia verloren hat? 

Kurz bevor diese Saison mit Alemannia begann, lag ich an einem italienischen Pool und hörte eine Folge des neuen Alemannia-Podcast, den die in diesem Moment weit entfernte Aachener Lokalzeitung zu meiner Freude aus dem Boden gestampft hatte. Fuat Kilic, der Retter des Vorjahres, rief damals als Talkgast einen Platz unter den Fünf der Tabelle als Saisonziel aus. Ein bisschen was im Pokal hatte er noch vor und der Bob wäre so weit in der Fuat-Bahn. Klang alles ganz okay für mich, wobei ich insgeheim, zumal schon zur Mittagszeit von italienischem Bier betäubt, natürlich von deutlich mehr träumte. Alemannia – das ist schließlich immer ein bisschen mehr Drahtseil als doppelter Boden. Wer will schon Fünfter werden? 

Ein paar Monate später lauschte ich im gleichen Podcast den Worten von Helge Hohl und Sascha Eller. Fuat Kilic war da gerade zu Alemannias Geschichte geworden und das neu ausgerufene Saisonziel bestand nun darin, die Alemannia-DNA zu finden, was ich erneut gar nicht mal schlecht fand. Irgendjemand dichtete damals in den sozialen Netzwerken meines Vertrauens, Herbert Grönemeyers „Alkohol“ auf „Helge Hohl“ um. „Helge Hohl ist das Dressing für Deinen Kopfsalat.“ Besser konnte man es eigentlich nicht sagen. Noch dazu reimte es sich perfekt und das war ja auch schon mal was. Also träumte ich auch dieses Mal insgeheim von etwas mehr als von dem, was wirklich möglich schien – auch ohne Bier in der Hand und Pool vor der Nase. Also alles wie immer, denn um ehrlich zu sein, phantasiere ich insgeheim sowieso immer von mehr, wenn es um Alemannia geht – völlig egal in welchem Zustand. Notiz für Eller und Hohl: Von mehr träumen, ist ein ganz wichtiger Strang der Alemannia-DNA. Nur konsequent deswegen, dass es selten rund um den Tivoli so gelebt wurde wie momentan. Vielversprechende Neuverpflichtungen, knackige Sponsoren-Deals und eine hoffentlich rasante Spielidee sind schließlich die besten Zutaten dafür. Kurze Becker-Faust in der Hosentasche, wenn die Verpflichtung des Rechtsaußen aus Rödinghausen bekanntgegeben und leichte Gänsehaut, wenn über einen Ersatzspieler aus Meppen spekuliert wird. So mag ich das.

Leider verliert man bei all der Träumerei aber auch schnell die Gegenwart aus den Augen. Der ständige Blick nach vorne, macht die Gegenwart zur Episode der Vergangenheit und das ist manchmal etwas ungerecht. Daher ganz schnell ein, zwei Sätze zur gerade ablaufenden Saison, bevor wir endlich unsere Träume verwirklichen: Was bleibt von einer Saison, die vor allem deshalb so gut war, weil sie kein Drahtseilakt war, sondern eine Menge Punkte ausspuckte? Das hat doch am Ende eigentlich funktioniert wie geplant. Es sieht sehr nach einem Platz unter den ersten Fünf aus. Im Pokal hat es im Grunde nur deswegen nicht so gut hingehauen, weil die Losfee (die Auslosungen der einzelnen Runden auf Facebook gehören übrigens zu den unerreichten Highlights der Saison) zu wenig Alemannia-DNA in ihrem Erbmaterial fand. Und immerhin rutschte niemand auf einer Bananenschale aus, was man bei Alemannia irgendwie auch immer mal wieder befürchten muss und daher erwähnen sollte, wenn es ausbleibt. Klar – hat man insgeheim von mehr geträumt, aber Träume sind ja sowieso nichts für die Gegenwart. Sondern viel mehr das Dressing für Deinen Kopfsalat.

Diese Kolumne erschien anläßlich des letzten Heimspiels der wunderbaren Alemannia aus Aachen der Saison 2022/23.

Sascha Theisen

STAMMPLATZ-Gründer und Fußball-Romantiker