Kloppo-Bump mitten im November

Artikel veröffentlicht in TORWORT-Senf am 18.11.2023
Erstellt von TORWORT - Die Fußball-Lesung

Kloppo-Bump mitten im November

Also eins ist mal klar: Spiele im November sind harter Tobak. Sie machen den Unterschied, trennen die Spreu vom Weizen, sind nur was für die ganz Harten. Wer im November ins Stadion geht, saugt auch einen Medizinball durch einen Gartenschlauch. Regionalliga im November – das ist ganz fies kalt, weil sich der Winter zwar ankündigt, gleichzeitig aber auch klar macht, dass er noch einiges vorhat. Schon auf dem Weg zum Tivoli ist es dunkel und die Scheibenwischer haben in etwa das gleiche Arbeitspensum wie die Toilettenspülung unter Block O5 kurz nach der Halbzeitpause. In der Schlange vor dem Ticketschalter und später am Getränkestand wippst Du von einem Bein aufs andere und die Vorstellung an diesem nasskalten Abend an einem kalten Bier zu nippen, setzt Du auch nur in die Tat um, weil Du Deine Abläufe über Jahre hinweg automatisiert hast. Dazu macht Dich die Perspektivlosigkeit fertig. Denn die Saison zeigt Dir zu diesem Zeitpunkt im Normalfall nicht wirklich, wohin der Weg führt, was sie für Dich parat hat. Im November ist es fast unmöglich von großen Träumen zu phantasieren, die irgendwann im warmen Mai in Erfüllung gehen sollen. Keine Frage: Der November ist hart und härter. Dass Dein Verein in diesen Tagen auch noch ein Karnevalstrikot vorstellt, macht es nicht gerade leichter, ist am Ende dann auch egal. Denn Du hast wichtigere Dinge um die Ohren – zum Beispiel musst Du einem beinharten 1:0-Heimsieg entgegenzittern, der gegen Mannschaften gelingen sollen, die aus Orten kommen, die Du im besten Fall auf Autobahnschildern sehen wirst. Manchmal ist Regionalliga purer Nihilismus – auch und gerade eben im November. Aber was hilft es schon zu klagen? Hat ja schließlich niemand gesagt, dass Regionalliga irgendwas mit Glamour zu tun hätte oder Fußball im allgemeinen, wenn er nicht gerade von der FIFA vermarktet wird. Regionalliga ist im Grunde der Fußball gewordene November. Ein bisschen zu nasskalt, ein bisschen zu unbedeutend und eben ein bisschen zu viel harte Arbeit. 

Wenn alles so wenig fließt, kann es schon mal helfen, wenn ein Derby ansteht. Denn mal ehrlich: Derbys sind Selbstläufer. Du spielst gegen eine Mannschaft, die gleich um die Ecke wohnt, die wenigstens theoretisch die Deine hätte werden können, wenn sie nicht gerade von einem Landrat gegründet worden wäre und ein bisschen Tradition hätte. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich habe jedenfalls schon immer Fans in Glasgow, Rom, Schalke oder Dortmund darum beneidet, dass sie neben dem Traum von einer Meisterschaft, einem Pokalsieg oder dem internationalen Geschäft noch zwei andere Highlights pro Saison haben – zwei Spiele, die jeden noch so kalte und dunklen November-Tag trotzdem in den Schatten stellen. Dünnpfiff nach dem Aufstehen, leichte Atemnot auf dem Weg ins Stadion, die Angst vor der Niederlage, die Sehnsucht nach dem Sieg, der Reiz des Besonderen im Normalen –Derby-Fieber im November. Ich selbst spielte Derbys einst in Soller und Jakobwüllesheim, was jetzt auch nichts ist, womit man angeben könnte. Aber selbst in der Klasse, in der wir einst spielten, verirrten sich betagte Rentner an die Seitenlinie, um zu sehen, ob Stockheims Zweite den Nachbarsorte würde schlagen können, was leider nur selten gelang, weil Stockheims Zweite am Abend davor zu viel getrunken hatte und daher nur Luft für 80 passable Derby-Minuten hatte. 

Derbys haben eine besondere Faszination. Sie holen das Beste aus denen heraus, die sie spielen, sehen oder atmen. Und sie können den November ein bisschen wärmer, heller und bunter machen als er in Wahrheit ist. Jedenfalls dachte ich das erst letzten Freitag, als Heiner Backhaus vor unserem Block versuchte den „Kloppo-Fist-Bump“ in die Regionalliga West einzuführen – jenes Faustballen vor den Fans, das mit jedem Mal ein bisschen wilder Richtung Fans geschleudert wird und von dort mit lauten Echo gekontert wird. Allerdings – so ehrlich muss man sein – funktionierte das nur so mittelprächtig. Klar – einen 1:0 Arbeitssieg mitten im November dazu zu nutzen, ein bisschen Anfield an den Tivoli zu holen, das konnte auch nicht wirklich klappen – auch wenn der Versuch aller Ehren wert war. Irgendwie muss man diese ganze Tristesse ja auch mal durchbrechen, wenn man den Mai noch in voller Pracht erleben möchte. Vielleicht war der gute Heiner auch einfach nur eine Woche zu früh dran mit seinem Anfield-Tanz. Denn wenn er das nach einem – sagen wir mal – 3:0-Triumph über das Projekt aus Düren an den Start bringt, dann, ja dann könnte das durchaus abgehen wie ein Zäpfchen. Das wäre doch mal ein Ansatz, diesem verfluchten November mit all seiner nasskalten Dunkelheit so richtig schön in seinen Allerwertesten getreten – so mit Anlauf. Würde jedenfalls die Spreu vom Weizen trennen. Schön, dass es Derbys gibt. Die sollten immer im November sein. 

Sascha Theisen

STAMMPLATZ-Gründer und Fußball-Romantiker