Wie ein Straßenköter am Meer

Artikel veröffentlicht in TORWORT-Senf am 16.08.2024
Erstellt von TORWORT - Die Fußball-Lesung

Wie ein Straßenköter am Meer

Dritte Liga – das ist eigentlich nichts, womit man groß angeben könnte. Schließlich gibt es noch die ein oder andere Liga darüber, in denen ja auch nicht so schlecht gekickt werden soll, sagt man. Und trotzdem: Für mich gibt es derzeit nichts Größeres als die „Dritte Liga“, diese wie frisch panierte Sehnsuchtsliga, zu der wir rund 4.000 Tage lang nur leicht verstohlen und mit großen Augen rüber schielen durften, während dort die anderen ihren Spaß hatten. Keine Frage: Die „Dritte Liga“ ist zurzeit für mich das, was die Weite der holländischen Nordsee für einen kleinen Straßenköter ist, der sonst nur die Enge der Gasse gewohnt ist, nun aber endlich von der Leine gelassen wird und gar nicht mehr damit aufhören kann wie behämmert am Meeresufer auf und ab zu rennen und seinen Schwanz auf Propeller-Modus zu stellen. Und weil ich mich manchmal genauso fühle, aber selbst eben nicht so mühelos auf Propeller-Modus in den unteren Regionen stellen kann, habe ich kurzerhand den Begriff „Dritte Liga“ zur Beschreibung der ganz großen Dinge im Leben erhoben. Oder anders gesagt: „Dritte Liga“ ist das neue „geil“. Und das geht dann so: Gelingt in Paris einem schwedischen Tischtennisspieler ein Schmetterball gegen einen Chinesen – alter Falter, ganz schön „Dritte Liga“, wie der die kleine weiße Polystyrol-Kugel auf die Platte zimmert. Trinkst Du im Urlaub bei Sonnenuntergang und lauen 28 Grad im Schatten ein eiskaltes und perfekt perlendes Bier: Wow – dann schmeckt das wie „Dritte Liga“. Trifft Anton Heinz in Höhe der A40 das Gehäuse oder flext Mega-Kapitän Mika Hanraths einen rot-weißen Stürmer nach dem nächsten weg, dann ist das erst recht und mal so was von „Dritte Liga“, was es am Ende ja auch ist. 

Alemannia ist nach elf Jahren zurück im erkennbaren, im wahrnehmbaren, im echten Fußball – man kann es gar nicht oft genug sagen, ohne sich noch einmal fett in die Armbeuge zu kneifen. Und man erkennt es an den gar nicht mal so kleinen Dingen im Leben – etwa so: Zur besten Sendezeit, und das ist zweifellos der Samstagabend um 18:00 Uhr, grüßt der schwarz-gelbe Adler vom Sportschau-Display, während Stephanie Müller-Spirra, die so etwas wie der gegenderte Ernst Huberty ist, eine Partie von Alemannia anmoderiert und anschließend einen astreinen Auswärtssieg der Marke Gänsehaut verkündet. Doch damit längst nicht genug. Denn plötzlich führt auch das Kicker-Managerspiel wieder echte Alemannen. Natürlich lässt Du es Dir nicht nehmen, alle 22 Spieler in der Variante „Dritte Liga“ aus dem aktuellen Tivoli-Kader rauszupicken, um dann mit dieser schwarz-gelben Taktik gleich auch noch 89 Punkte am ersten Spieltag einzufahren, was zu einem respektablen Platz 123 in der Gesamtwertung führt. So macht das mal richtig Spaß. Ungefähr so sehr, wie es auf der anderen Seite in dir rumort, wenn Du selbst als passionierter Konsolenverweigerer sehnsüchtig auf FIFA 2025 wartest, das mittlerweile wohl anders heißt, nur damit Du selbst mit deinen unbegabten Controller-Fingern den Rumpfer im Spiel gegen Manchester City von einem Kopfballduelle zum nächsten gegen einen norwegischen Bananenbieger namens Erling Haaland (Kategorie „Vierte Liga“) zockst. Und nur mit Deinen beiden Daumen gewinnst Du einen Zweikampf nach dem nächsten und feierst im neuen und arg unterschätzten schwarzen Trikot den Champions League Sieg in der Allianz Arena – eben mit Jan-Luca Rumpf im eigenen Sechszehner und Thilo Töpken im Auge des Sturms, wo er mit John Stones und Kyle Walker Jo-Jo spielt. Controller-Daumen hoch von mir gibt es für all das – auch, weil ich mir das Kicker-Jahresheft für schlappe 6,90 Euro an der Tankstelle meines Vertrauens gönnen kann und dafür nicht nur das Alemannia-Wappen in die Stecktabelle fummeln darf, sondern gleich auch noch ein astreines Mannschaftsfoto inklusive Zu- und Abgänge serviert bekomme. 

Wie lange hat es all das nicht mehr gegeben? So lange eben, dass man auf all diesen kleinen Dinge, die wie gesagt gar nicht mal so klein sind, so richtig abgehen kann. Denn wer da nicht auf Propeller-Modus stellt, dem ist nun wirklich nicht mehr zu helfen. Es muss nicht immer Scheiße sein, dieses Leben. Ganz im Gegenteil: So mit Qualitäts-Badge auf dem Ärmel, vollen Rängen auswärts wie zuhause und mit Anton Heinz draußen auf dem Flügel kann es volle Kanne „Dritte Liga“ sein. 

Diese Kolumne erschien anläßlich des Comebacks der großen Alemannia aus Aachen in Liga 3 gegen den SC Verl im August 2024.

Sascha Theisen

STAMMPLATZ-Gründer und Fußball-Romantiker