Montezumas Rache für die Füße
Zuletzt spielte ich trotz meines Körpers mit all seinen Knien selbst noch mal Fußball, in einem dieser Soccer-Käfige für die wir früher getötet hätten, weil sie so gut zu unseren Fähigkeiten gepasst hätten. Das Geläuf ist perfekt, die Wege kurz und vor allem sind sie komplett von einem Netz umgeben, so dass die Pille auch dann nicht am Horizont verschwinden kann, wenn man sie per Vollspann aus drei Metern, acht Meter über die Kiste zimmert. So was passierte mir in meiner aktiven Laufbahn nämlich hier und da, wenn ich den Fuß an Wochenenden nicht korrekt eingehängt hatte, weil in der Kreisliga mal wieder Sonntagsvormittags um 11.00 Uhr anstatt um 15:30 Uhr gespielt wurde. Ich erinnere mich an eine dieser Szenen, als wir mit Stockheims Zweiter in einem dieser Eifeldörfer spielten, in dem die Verwandtschaftsverhältnisse auch nichts für schwache Nerven sind. Mein Freund, Kupferstecher und Mannschaftskapitän Lars H. spielte einen Pass auf Hüfthöhe in meine Richtung, vermeintlich in die tödliche Gasse, wo der Ball aber nie ankam, sondern stattdessen zuerst dumpf gegen meinen Oberschenkel und dann vor meine Füße prallte, gerade so, als würde er auf meinen anschließenden Volley nur so warten. Heute nennt man das im Fußball-Fachjargon: „Guter erster Kontakt“. Diesem folgte allerdings ein schlechter zweiter Kontakt, weil ich den Ball aus gut sieben, acht Metern mit aller Wucht, die ich um die Uhrzeit im Bein hatte, kilometerweit über das Tor, den dahinterstehenden Fangzaun und gleich auch noch über das wiederum hinter diesem gelegenen Vereinsheim in die Walachei ballerte. Torchancen sind nicht einfach zu nutzen – das wurde mir schon damals klar, spätestens, als sich die Handvoll Zuschauer am Spielfeldrand vor Lachen bogen. Das alles ist lange her und längst verarbeitet, zumal ich heute im gesetzten Alter plötzlich wieder treffe, wie ich möchte. Auf diesem Soccer-Court letzte Woche zum Beispiel netzte ich gleich unglaubliche drei Mal ein, schlief in der Nacht danach wie ein Baby auf Wick Medinait und träumte jede meiner Buden drei bis vier Mal nach. Der alte Mann kann es noch – er braucht halt nur ein Netz über dem Kopf. Dann allerdings geht einiges.
Es ist eine Binsenweisheit: Das Schwierigste am Fußball ist es, Tore zu schießen. Wer Alemannia liebt, der weiß das besser als viele andere. Es gibt sie diese Phasen, in denen die Tore frei nach der österreichischen Reporterlegende Eddy Finger wie vernagelt sind, wie mit Brettern vernagelt. Alemannia hatte immer mal wieder große Stürmer, die unvergessene Tore schoßen. Krohm gegen Verl. Meijer gegen Bayern. Krontiris gegen Köln. Heinz gegen Wuppertal. Delzepich gegen die Schwerkraft. Aus aktuellem Anlass suchte ich zuletzt einmal im Internet nach den Rekordtorschützen unter ihnen und da es nichts gibt, was das Internet nicht zu bieten hätte, gab es auch diese Hitliste. Die treffsichersten Meisterschützen kickten alle vor meiner Zeit, tragen aber ebenso schillernde Namen wie die anderen, die ich selbst noch spielen sah. Jupp Martinelli, Alfred Glenski, Christian Breuer, Michel Pfeiffer, Willi Bergstein. Ohne die Männer jemals auf dem Tivoli gesehen zu haben, bin ich trotzdem sicher, dass auch sie sicher ihre Phasen hatten, in denen sie nicht getroffen haben, egal was sie versuchten. Denn letztlich geht kein Stürmer durchs Leben ohne sie. Wenn die Ladehemmung sie heimsucht, kommt sie hart und gewaltig. Selbst große Namen halten sie nicht auf. Ernährung umstellen, Fußballschuhe wechseln, Rückennummer tauschen, was auch immer sie versuchen, nichts funktioniert. Die Kiste wird kleiner, der Torwart größer und das Leder härter. Alemannias aktuelle Stürmer wissen, was ich meine. Sie haben ihre aktuelle Ladehemmung auch noch im Winter, was dann an Tristesse auch nicht zu überbieten ist. Sie hat sie unbarmherzig am Schlafittchen. Sie schießen nach links, wenn sie nach rechts schießen sollten, köpfen halbhoch, wenn sie es mit einem Aufsetzer versuchen sollten und sie stolpern, wenn sie es gerade mal so gar nicht brauchen können. Schon der große Andi Brehme – Gott hab´ihn selig – wusste zu Lebzeiten: „Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß!“ Die Benshops, die Heinz´, die Töpkens und die Godens – sie alle haben so etwas wie „Montezumas Rache für die Füße“, eine ganz fiese Sache, gegen die kein Kraut gewachsen ist. Das Einzige, was wirklich hilft, ist ein Tor, ein Tor, ein Tor, ein Tor, ein Tor. Dann und so viel steht mal fest, platzt der Knoten. Vielleicht muss nur jemand ein Netz über den Tivoli spannen und plötzlich netzen die Jungs gleich drei Mal am Stück ein. Würde ihnen guttun und schlafen würden sie – wie ein Baby auf Wick Medinait. Und ich erst recht!
Diese Kolumne erschien im Tivoli Echo, der Stadionzeitung der großen Aachener Alemannia, anläßlich des Heimspiels gegen die Zweite von Sebastian Hoeneß im Dezember 2024.