Schwere Dinge einfach aussehen lassen
Auf meinem Schreibtisch steht ein Ulli-Bapoh-Becher. Alles, was ich daraus trinke, schmeckt besser. „Nummer 16“ steht auf dem Steckbrief, direkt neben seinem Becher-Konterfei undgleich darunter „geboren am 29. Juni 1999“ – war wohl ein Dienstag, wie ein Blick ins Internet verrät. Du merkst erst, wie alt Du bist, wenn selbst aussortierte Alemannia-Spieler Deine Söhne sein könnten. Ich mag und mochte Ulli immer sehr. Die langgezogenen Rufe seines Namens, wenn er eingewechselt wird und die von da an jeden seiner Ballkontakte begleiten, haben die besondere Gabe ein Stadion noch mal aufzuwecken, wenn eigentlich schon alles verloren scheint. Ich mochte es, wenn er mit seinem tiefen Körperschwerpunkt sämtliche Gegnerspieler scheinbar mühelos stehen ließ und anschließend einen betont beiläufigen Fünfmeterpass spielte. Wer schwere Dinge einfach aussehen lässt, ist ein König. Lässigkeit ist King. Ulli ist King, einer dieser unbefangenen Könige, die es auf Fußballplätzen der dritten Liga leider viel zu wenig gibt, für die man aber ins Stadion geht, weil sie Dir immer irgendetwas mitgeben für Deinen Heimweg – eine Körpertäuschung, einen Steckpass, einen Hackentrick, halt was zum Träumen. Wie es aussieht, ist das am Tivoli aber erst einmal vorbei, was ich schade finde. Zwar hält mich der „No-Bapoh-Spieltag“ auch zukünftig nicht davon ab, weiter mein Büro-Wasser aus seinem Becher zu trinken, fehlen wird er mir aber schon, wenn ich demnächst in meinem Schalensitz mal wieder verzweifelt auf die heilende Wirkung einer Einwechslung hoffe. Vielleicht hat er es im Pokal verbockt, wer weiß das schon? Heiner vielleicht und der muss es am Ende ja auch wissen. Er sei nicht am Tivoli, um Freundschaften zu schließen wurde Heiner dieser Tage irgendwo in den Tiefen dieses nicht immer zuverlässigen Internet zitiert und so ist es am Ende natürlich zugegebenermaßen nun mal, auch wenn ich drei Mal am Tag auf Facebook nachschaue, ob er nicht doch endlich meine Freundschaftsanfrage bestätigt hat.
Sei´s drum, grundsätzlich haben alle Aufstiegshelden einen fetten Stein bei mir im berühmten Brett – Ulli Bapoh erst recht, Pokal hin oder her. Und trotzdem: Spieler kommen und gehen, pflege ich immer zu sagen. Alemannia ist unser Verein, wir verleihen ihn immer nur für die Laufzeit eines Vertrages an Spieler. Manche gehen in dieser Zeit besser mit ihm um als andere. Gerade deswegen war ich immer traurig, wenn Spieler Alemannia verließen, die gut zu uns waren und die ich deshalb besonders ins Herz geschlossen hatte. Vor einigen Jahren schrieb ich mal einen empörten Brief an Jörg Schmadtke, nur weil er den alternden, mir aber überaus wichtigen Abwehrrecken Alex Klitzpera aussortierte. Ich hatte „Klitze“ geliebt, ihn und seinen Sidekick Moses Sichone, den König der Beinschüsse im eigenen Sechszehner. Immer wenn es unten auf dem Rasen eine Ecke gab, kündigte ich oben auf den Rängen ein Kopfballtor von ihm an und manchmal tat er, was ich vorhergesagt hatte. Oft traf er auch nicht. Dann fasste er sich im Zurücklaufen ungläubig an den Kopf, als könne er nicht glauben, dass es mal nicht funktionierte. Ich tat dann das Gleiche – eine perfekte Symbiose, von der Schmadtke natürlich nichts wusste. Woher auch? Wie Klitzpera war auch Markus Daun, dieser wunderbare Stürmer, der in seinen Anfangsjahren viel zu gut war für Alemannia und die gegnerische Hälfte beackerte, wie ein Berserker, der in einen Topf mit Zaubertrank gefallen war. Bei jedem Sprint, bei jeder Grätsche, bei jedem Kopfball wusste ich, dass er zu gut für uns war und weiterziehen musste, was er auch tat und dann irgendwann im falschen Trikot vom einzigen knarzigen Brasilianer der Fußballwelt rüde aus der Karriere getreten wurde. Apropos Stürmer: Mario Krohm war es, der nach dem Aufstieg der Aufstiege eher gezwungenermaßen als selbstgewählt weiterzog und mich so in eine mittelschwere Sinnkrise stieß. Wie konnte ich mit Alemannia weitermachen, wenn er nicht mehr die Massen im S-Block zum Ausrasten brachte? Längst sind sie beide nicht mehr da – der S-Block und der Krohm. Weiter ging es trotzdem, mal gut, mal weniger gut, mal dramatisch schlecht – immer aber voller Hoffnung und voller Träume. Dennis Ibrahim, Kevin Kratz, Kris Thackray, Tobias Feisthammel, Robin Afamefuma, Taifour Diane, Cristian Fiel, Frank Schmidt, natürlich Erik – die Liste der Spieler, die es in mein Herz schafften, ist genauso lang wie eigentümlich und mit gesundem Menschenverstand nicht erklärbar. Jeder der Jungs hatte etwas, das mich triggerte – eine besondere Art zu laufen, zu grätschen, zu schießen oder einfach durchzupusten, wenn ein Gegentor gefallen war. Ulli Bapoh reiht sich ein in diese imposante Riege vorübergehender Herzensspieler. Wobei, jetzt wo ich die Zeilen so schreibe, fällt mir auf, dass der Mann auf dem Becher meines Vertrauens ja noch gar nicht wirklich weg ist, sondern nur auf dem schwarz-gelben Eis liegt, bis ihn sich jemand schnappt. Vielleicht lässt er ja doch noch ein einziges Mal schwere Dinge leicht aussehen. Darauf einen lässigen Schluck aus meinem Bapoh Becher. Lässigkeit is King.
Diese Kolumne erschien anlässlich des Rückrundenauftakts der großen Alemannia aus Aachen gegen Rot Weiß Essen im Januar 2025.
