Der Herzschlag des Teams
Eines dieser schönen Spieltagsrituale bei Heimspielen ist es, nach dem Kick nicht gleich nach Hause zu fahren, sondern noch auf einen kurzen Abstecher im Fanshop vorbeizuschauen – ein Besuch bei Ola kann nicht schaden. Nur ein bisschen in den Regalen stöbern, um irgendwas zu kaufen, das man nicht braucht, aber unbedingt haben muss. Letzte Woche kaufte ich mir einen schwarz-gelben Wimpel, der gerade so groß ist, dass man ihn dekorativ an den Rückspiegel im Auto hängen kann, ohne dass er die Sicht nimmt. Da schaukelt er seitdem vor sich hin, schüttelt in scharfen Kurven oder an Ampeln seine schwarzen Franzen für mich und ist dennoch ein Auslaufmodell. Denn irgendwie gehören solche Wimpel leider nicht mehr so natürlich zum Straßenbild, wie das mal guter Brauch war. Früher, als sowieso noch alles besser war, gehörten solche Rückspiegel-Wimpel zum Auto wie der Fellüberzug aufs Lenkrad, der „Ein Herz für Kinder“-Aufkleber neben das Nummernschild und all die energisch ausgedrückten Kippen in den Aschenbecher. Mein Vater wäre in den Siebzigern nicht losgefahren ohne seinen Wimpel am Spiegel, den ich als Kind dann auch für ein ganz natürliches Auto-Zubehör hielt ohne den ein Motor im Leben nicht anspringen würde. Höchste Zeit, das wiederzubeleben und meinem Rückspiegel das zu geben, was er verdient – eben einen Wimpel, der auf jedem Parkplatz, in jedem Stau und eben auf jeder Fahrt Farbe bekennt – dem Fanshop sei Dank.
Überhaupt: Wimpel. Wieder eines dieser Dinge, die es auch nur im Fußball gibt. In den Vitrinen alter Vereinsheime hängen sie an vergilbten Wänden, ein bisschen wie Denkmäler an unvergessliche Schlachten. Vor großen Spielen halten Mannschaftskapitäne sie zusammengefaltet in der Hand, tippeln nervös von einem Bein aufs andere, wenn sie die Platzwahl bestreiten, um dann doch zurück zu einer beneidenswerten Souveränität zu finden, wenn sie ihren Wimpel mit dem Anführer der gegnerischen Mannschaft austauschen. Leider wechseln Wimpel nur noch vor Finalspielen den Kapitän. Im schnöden Ligaalltag werden sie leider nicht mehr ausgetauscht, nur noch bei den ganz großen Spielen – in Berlin zum Beispiel oder von mir aus auch in Köln Höhenberg, wenn der erste hoffnungsvolle Schritt nach Berlin gemacht wird. Manchmal finde ich das schade, denn wenn man schon etwas hat, was es nur im Fußball gibt, sollte man es doch ein bisschen mehr zelebrieren. Wieder mehr Wimpel – wäre doch mal eine schöne Initiative. Da würde ich mich doch glatt auf der A4 für festkleben. Aber vielleicht denke nur ich das und all die anderen finden Wimpel jetzt doch nicht so wichtig. Aber hey – Mika Hanraths am Mittelkreis mit einem dieser überdimensionalen schwarz-gelben Wimpel in der Hand, um ihn herum eine brodelnde, elektrisierende Atmosphäre voller Vorfreude, Herzklopfen und dem Gefühl, dass es nun wirklich nichts Größeres gibt als dieses Spiel – hätte doch was. Klar, Vorfreude hat man auch so, aber wäre der Wimpel in seiner Hand nicht die Kirsche auf der Torte?
Jetzt wo ich so darüber nachdenke, fällt mir auf, dass unser Kapitän ganz viel damit zu tun hat, dass ich vielleicht ein bisschen zu viel über Wimpel nachdenke. Denn vielleicht ist Mika Hanraths der beste Kapitän, den wir seit ganz langer Zeit am Mittelkreis stehen haben, um die Platzwahl zu gewinnen und vielleicht irgendwann auch wieder in einem dieser Spiele einen Alemannia-Wimpel zu tauschen. Mir fällt das jedenfalls regelmäßig auf, nicht nur am Mittelkreis, sondern auch und vor allem auf dem Platz. Immer dann, wenn er es abfeiert, einen eigentlich erst auf den zweiten Blick wichtigen Zweikampf gewonnen zu haben und das, obwohl er, wie mir zuletzt einer dieser Magenta-Moderatoren vom Bildschirm aus ins schwarz-gelbe Ohr flüsterte, eh die meisten Zweikämpfe der ganzen Liga scheinbar mühelos gewinnt. Vorbild sein, mitreißen, inspirieren. So wie immer dann, wenn er auf seine Mitspieler zuläuft und sie für eine gelungene Aktion, sei es eine Torwartparade, eine weitere Grätsche an der Seitenlinie oder ein gewonnenes Kopfballduell bejubelt. So geht Kapitän! Denn Kapitän zu sein, bedeutet eben deutlich mehr als nur die Binde über den Platz zu tragen oder die Seitenwahl zu gewinnen. Vielmehr geht es darum, so etwas wie der Herzschlag des Teams zu sein. Klingt schwierig? Ist es sicher auch – scheiße schwierig. Gehört viel dazu. Du merkst erst, wie sehr er fehlt, wenn das Herz mal nicht schlägt. Derzeit schlägt es bemerkenswert laut und aufrichtig. Das ist alles andere als selbstverständlich. Vielleicht hat Alemannia derzeit den besten Kapitän der Liga. Gut, wenn ein Wimpel an Deinem Rückspiegel Dich ab und an solche Dinge erinnert. Wichtige Sache – das mit den Besuchen bei Ola im Fanshop.
Diese Kolumne erschien im Tivoli Echo von Alemannia am 31. Januar 2025, als Energie Cottbus als Tabellenführer vorspielte.
