Eins kann uns keiner nehmen

Artikel veröffentlicht in TORWORT-Senf am 08.05.2025
Erstellt von TORWORT - Die Fußball-Lesung

Eins kann uns keiner nehmen

Das Ende einer Saison ist jedes Jahr aufs Neue ein Brett. All die Hingabe, die Du reingesteckt, all die Sorgen, die Du Dir gemacht und all die Stimmbänder, die Du gelassen hast. Keine Frage, eine Saison mit Alemannia schlaucht Dich in etwa so wie ein Familienfest die Gallagher-Brüder. Aber sie lässt Dich auch das Leben spüren, wie nicht viel anderes auf der Welt. In all den Saisons, die Du über all die Jahre begleitet hast, sammelst Du Spiele und deren Momente wie früher Panini-Bilder zu Fußball-Weltmeisterschaften, nur eben ohne Doppelte. Denn jede Saison und jedes Spiel ist am Ende doch einzigartig. Manche ähneln sich, sind dann aber doch verschieden. Der kalte Wind im Heimspiel gegen Cottbus aus dieser Saison fühlt sich zwar in etwa genauso an, wie der, der Dir gegen irgendeine Zweitvertretung im vergangenen Jahr um die Ohren pustete. Der Schalensitz wölbte sich dieses Jahr gegen RWE genauso geschmeidig um Deinen Hintern, wie damals im Spiel gegen Eintracht Braunschweig aus einem dieser längst vergangenen Zweitliga-Jahre. Aber da war diese eine Grätsche, die Dich der Kälte und dem Wind zum Trotz vom Platz gerissen hat oder dieser Fallrückzieher von Sergiu Radu in irgendeinem anderen Spiel, von dem Dein sechsjähriger Sohn auf der Rückfahrt aus dem Kindersitz heraus erzählte, der so ganz anders war als der von Frederic Commodore an Müngersdorfs Mittellinie – nicht weniger schön, aber anders. Keine Frage: Jede Saison hat ihre Geschichten und irgendwie behältst Du ausgerechnet die im Hinterkopf, die eine kurze Anekdote eines Alemannia-Spiels waren. Eine kurze Bewegung eines Spielers, der zwei Jahre später schon woanders spielte, eine einzige Geste in Richtung Zuschauerränge, die Dich dazu verleitete aufzuspringen oder eben ein Last-Minute-Tor, das Deine komplette anschließende Woche zu einer guten machte. Alemannia kann so viel mit Dir machen und manchmal macht sie es auch einfach – ohne Vorwarnung, ansatzlos, einfach so.

Natürlich frage ich mich auch am Ende dieser Saison, was die besten Momente in diesen zehn Monaten Alemannia waren – dem ersten Jahr Dritte Liga, die so viele Jahre das Sehnsuchtsziel war, weil all die Dorfplätze und meist schlecht besuchten Waldstadien des Niederrheins uns langsam, aber sicher zermürbten. Bentleys Hacke gegen Rostock, Hanraths Schädel gegen Osnabrück, Tonis Tor in Essen als frecher Willkommensgruß an die Liga, Charlys Tor gegen Kiel nach dem ich kurz die Hotels in Berlin checkte oder Jannik Mauses Like unter Mikas Post zu dessen Vertragsverlängerung. Das Jahr bot so einiges und noch viel mehr.

Und doch lande ich irgendwie gerade dieses Jahr vor allem bei den Choreografien in den Kurven – selbstverständlich bei unseren eigenen, die genau den Pathos des Spiels transportierten, den ich so liebe. Gänsehaut schon beim Pokalspiel gegen Holstein Kiel, dem einzigen Spiel der Saison, das ich aus heutiger Sicht gerne noch einmal spielen würde, weil es eigentlich uns gehörte. „Eins kann uns keiner nehmen und das ist das Endspiel gegen Bremen“ stand vorher am Fuß der Südtribüne. Gänsehaut pur und irgendwie auch ein Zeichen dafür, dass Träume nicht immer nur Träume bleiben müssen – wer ist schon Bielefeld? Weitere Kostproben: „Alemannia Aachen – größer als wir alle“, „Da wo Du nicht bist, will ich nicht sein“, „Vergessen diese Zeit – der Glanz bis in alle Ewigkeit“ – da ging so einiges in unserer Kurve, aber in diesem Jahr auch wieder auf der anderen Seite. Die Sitzschalen-Banditen aus Rostock mal ausgenommen, war der Gästeblock in vielen Partien endlich wieder voll und beeindruckend. Das machte diese Saison endlich wieder zu dem, was Fußballspiele so in petto haben: Lautstärke auf beiden Seiten des Stadions, kalkulierende Hoffnung an beiden Enden und nicht zuletzt verbale Schlagabtäusche, die eben auch irgendwie dazugehören, wenn sie eben verbal und in der Kinderstube bleiben. Mal ehrlich: Ich hatte nach all den Regionalligaspielen, bei denen die Gästekurve aus maximal drei Elternpaaren der kurzerhand in den Kader genommenen A-Jugendspieler bestand, schon ganz vergessen, wie es ist, wenn 3.000 Münchener ihre Sechziger feiern, wenn Dynamo Dresden zeigt, wie ein Aufstiegssupport nach gut 700 Kilometern Anreise aussehen kann und wie ebenso viele violette Fans des VfL Osnabrück alles geben, um den Abstieg zu verhindern. Zur Wahrheit gehört natürlich auch, dass nur der Tivoli mit seiner unfassbaren Anhängerschaft ihnen den Rahmen bot, so den Swag aufzudrehen. Aber genau dieses Wechselspiel zwischen Heimfans und endlich wieder nennenswerten Auswärtsfans bleibt mir in Erinnerung, wenn ich jetzt am letzten Spieltag, an dem sich rund 3.000 Fans aus Saarbrücken angesagt haben, über die ablaufende Saison nachdenke. Das und Bentleys Hacke gegen Rostock. Ach ja, und Jannik Mauses Like – klar. 

Diese Kolumne erschien anläßlich des letzten Heimspiels der unglaublich geilen Alemannia aus Aachen in der Saison 2024/25. Es wurde gewonnen, was sonst?

Sascha Theisen

STAMMPLATZ-Gründer und Fußball-Romantiker