Hoffnung bringt Dich nicht um

Artikel veröffentlicht in TORWORT-Senf am 25.08.2025
Erstellt von TORWORT - Die Fußball-Lesung

Hoffnung bringt Dich nicht um

Mal von Benedetto Muzzicato abgesehen – der beste Trainer der Welt kommt nicht aus Madrid, nicht aus Manchester, nicht aus Paris und schon gar nicht aus Braunschweig. Der beste Trainer der Welt kommt aus Kansas City, trainiert den AFC Richmond und eigentlich gibt es ihn nicht wirklich. Denn Ted Lasso coacht mit dem besten Schnauzbart der Welt nur auf Apple TV und das bislang auch nur drei Staffeln lang. Trotzdem fühlt es sich an, als gäbe es ihn wirklich und als wären wir enge Freunde. Immer wenn ich eine Folge schaue, ist meine Laune danach eine bessere und über welche Serie kann man das schon sagen? Ich weiß nicht, wie viele KI-Tools ich schon damit beauftragt habe, mir Bilder zu erstellen, auf denen Ted und ich Arm in Arm am Spielfeldrand stehen und einen Heimsieg in Richmond feiern, den uns niemand zugetraut hätte, neben uns sein Co-Trainer, der unvergleichliche Coach Beard. 

In meiner Lieblingsfolge spricht Ted in der Umkleidekabine in der Halbzeitpause eines wichtigen Spiels darüber, wie wichtig Hoffnung im Fußball ist. Er räumt dabei mit der guten alten englischen Fußballweisheit „Es ist die Hoffnung, die Dich umbringt“ auf. Die besagt nämlich: Nicht die Niederlage oder die Angst davor macht Dich wirklich fertig, sondern die Hoffnung selbst, dass es doch noch gut ausgehen könnte – sie ist es, die Dich umbringt. Anders gesagt: Solange Du keine Erwartungen hast, kannst Du auch nicht enttäuscht werden und niemand da unten auf dem Feld kann Dir das Herz brechen. Mein knuffiger Freund Ted sieht das komplett anders. „Es ist der Mangel an Hoffnung, der einen umbringt“, sagt er zu seinen Jungs in besagter Kabinenszene. Die daraufhin stürmen auf den Platz in Richmond und drehen in einer epischen Aufholjagd, die es so hoffentlich nicht nur in fiktiven TV-Serien gibt, ein eigentlich völlig aussichtsloses Spiel.

Auch Alemannia spielt heute ein Spiel, vor dem englische Puristen wohl sagen würden, dass sie die gute alte Kiste mit der Hoffnung heute lieber mal zulassen. Denn mit dem scheinbar letzten Aufgebot geht es gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner, der obendrein in den letzten Wochen wenigstens bei mir auch noch echte persönlich Sympathiepunkte gesammelt hat, weil er die Vereinsgrößen der Vergangenheit zurück in die Startelf geholt hat – etwas worauf ich nicht nur leicht neidisch rüber an die unvergleichliche Grünwalder schaue und nachts im Schlaf unter leichtem Wimmern Namen wie Lewis Holtby, Janik Mause oder Tobi Mohr in das Ohr meiner Frau flüstere. Auch deswegen – also wegen der Neuverpflichtungen, nicht wegen des Wimmerns scheint der Gegner wenigstens bis zum erlösenden Ende der Transferphase übermächtig. Aber hey – das ist Alemannia Aachen, Alter! Und genau deswegen freue ich mich jetzt schon darauf, wie sich mein aktueller Pessimismus am Spieltag und in Hoffnung verwandelt – selbst auf die Gefahr hin, dass es die Hoffnung ist, die mich dann umbringt. Denn wann sonst, wenn nicht an Spieltagen, noch dazu am Tivoli, geschehen gelegentlich Wunder? 

„Do you believe in miracles?“, schrie der amerikanische TV-Reporter Al Michaels 1980 in die TV-Mikrofone von Lake Placid als die amerikanische College-Auswahl die seit Jahrzehnten ungeschlagene Auswahl der Sowjetunion im Eishockey schlug – auch so ein Film, den man gesehen haben muss, gerade weil er im Unterschied zu Ted Lasso eine wahre Geschichte erzählt. „Glaubt Ihr an Wunder?“, wird auch der Satz sein, den ich an diesem Samstag gleich mal in Richtung Armaturenbrett skandieren werde, wenn ich den Zündschlüssel zum Auftakt des Heimspieltages umdrehe – einfach, um gleich mal allen Auto-Alemannen die unverhandelbare Richtung vorzugeben. Demut war gestern. Heute sind Wunder an der Tagesordnung. Dafür ist jedenfalls schon mal alles angerichtet: ein Lazarett, das so groß ist wie die Berliner Charité, ein Kader der erst Ende August so richtig geil sein wird und ein Gegner, der nicht nur ehemalige Nationalspieler auf dem Platz, sondern auch noch rund 3.000 fanatische Auswärtsfans in Aufstiegsstimmung im Gepäck haben dürfte. Klingt aussichtslos? Ja. Und ist das nicht geil? Denn mal ehrlich: Am Ende ist scheinbare Aussichtslosigkeit doch genau die perfekte Zutat für die Hingabe, die es braucht, um aus Hoffnung einen nicht erwarteten Heimsieg zu machen – einen DIESER Heimsiege. Was es dafür braucht? Einen Schulterschluss zwischen Rängen und Spielfeld, eine gute Portion des über sich Hinauswachsens auf beiden Seiten und natürlich ganz viel Hoffnung, und zwar eine der Sorte, die Dich nicht umbringt, sondern eine der Sorte, die auf kleine Wunder schielt. Denn mal ehrlich: Es ist der Mangel an Hoffnung, der Dich umbringt. Gehen wir es an.

Diese Kolumne erschien anläßlich des Heimspiels der wunderbaren Alemannia aus Aachen gegen 1860 München, das leider und unverdient in den letzten Minuten in die Binsen ging.

Sascha Theisen

STAMMPLATZ-Gründer und Fußball-Romantiker