Die Liebe für das Spiel

Artikel veröffentlicht in TORWORT-Senf am 25.10.2022
Erstellt von TORWORT - Die Fußball-Lesung

Die Liebe für das Spiel

Ende Oktober ist immer Scheiße – seit sechs Jahren jetzt schon. Nicht, dass es sonst besser wäre, aber Ende Oktober jährt es sich halt und dann denkst Du, wieviel besser das Leben wäre, wenn ein Peter Schmitz noch da wäre. Man könnte über verfluchte Weltmeisterschaften sprechen, über den unnachahmlichen Geschmack von Kroketten, über die längst vergangenen Abwehrschlachten von Jimmy Connors, über Stützwellen in den späten Achtzigern oder darüber, warum Zigaretten zur späten Stunde gar nicht mal die schlechteste Idee sind. Oder man könnte über Hoffnung im Fußball sprechen, weil es ohne die nicht geht – über Hoffnung und über Enttäuschung, ohne die Hoffnung ja keinen Sinn ergäbe. Genau wie ich pendelte ein Peter Schmitz, der so hieß wegen „ein Lothar Matthäus“, in Momenten, in denen sich sein Verein gerade einmal zu scheinbar Großem aufmachte, zwischen Vorfreude auf den nächsten Sieg und Furcht vor der nächsten Niederlage. Oft reichte eine einzige Szene, ein einziges unverhofftes Tor, eine einzige verzweifelte Rettungstat auf der Kreidelinie, um in diese Trance der Hoffnung und Enttäuschung versetzt zu werden. Ich liebe diesen Zustand, der Dich an ganz normalen Dienstagvormittagen die Haare raufen lässt, weil Du an das Spiel in vier Tagen denken musst und daran, wie es wohl ausgehen könnte. Manchmal denke ich, es ist genau diese Sorte Hoffnung, die ich am Fußball so liebe. Du träumst auf der einen Seite von dem ganz großen Ding und ertappst Dich aber doch immer wieder dabei, dass es doch eigentlich völlig unmöglich ist. Zu viel spricht dagegen. Und trotzdem hoffst Du, weil: Wer weiß schon, was passiert? Vielleicht erhebt sich das Spiel tatsächlich über das Scheitern und am Ende geschieht eines dieser Wunder, wofür alle Dich ausgelacht haben, als Du an irgendeinem Pissoir in irgendeiner schmierigen Kneipe morgens um Vier davon fabuliert hast. Mit einem Peter Schmitz konnte man sich Nächte lang in diesen Träumen der Hoffnung verlieren, sich aber auch mit der gleichen Wonne in den Enttäuschungen wälzen, die in den meisten Fällen folgten. Niemand war verständnisvoller als Alemannia damals abstieg, obwohl es nicht seinen, sondern meinen Verein getroffen hatte. Niemand konnte besser verstehen, was ein Pokalfinale bedeutete, obwohl sein Verein gegen meinen im Halbfinale ausgeschieden war. Du musst das Spiel lieben, um es so zu verstehen, wie ein Peter Schmitz es verstand. Und ein Peter Schmitz liebte es. Und es liebte ihn.

Am liebsten spielte ich es deshalb mit ihm, zum Beispiel auf einer Wiese vor einem Stadion, dessen Verein wir beide nie verstanden. Jeden Donnerstag packten wir unsere besten Trikots aus dem Schrank und versuchten uns an dem Spiel, das uns trotz all der Zuneigung, die wir ihm gaben, selten gelang. Aber das gemeinsame Verständnis half uns über unsere gemeinsamen Unzulänglichkeiten hinweg. Wir nannten das: kongenial. Wir waren technisch beschlagen, aber eben nur mit einem Fuß. Wir liefen in die richtige Richtung, aber eben nur bemitleidenswert langsam. Wir schossen meist in die richtige Ecke, aber eben nicht hart genug. Wir sahen jede noch so versteckte Schnittstelle, waren aber in genau diesen Momenten eben nicht in Ballbesitz. Kurz: Wir spielten das Spiel mit der gleichen Leidenschaft, immer auf der Suche nach dem einen Moment, der einen Szene für die es sich im Anschluss gelohnt hatte, die Schuhe zu schnüren und das Bier aus dem Kofferraum zu holen. Und diesen einen Moment bekamen wir dann doch immer – ein gelungener Flugball, eine geschmeidige Bewegung, ein unverhoffter Abstauber. Irgendwas hatte der Fußball trotz aller Unzulänglichkeiten doch für uns übrig. Wer Liebe gibt, bekommt Liebe zurück – und sei es eben nur in Form eines gelungenen Hackentricks. Das Schöne im Detail. Anschließend saßen wir am Rande des Kofferraums seines Fiat Puntos und erzählten uns davon, schmückten es aus und machten es größer als es gewesen war. Nichts fehlt mir so sehr wie diese Momente mit einem Peter Schmitz. 

Alemannia versetzt mich gerade wieder mal in diese Trance, die mich auf ein bisschen mehr hoffen lässt, als es eigentlich geboten wäre. Leider kann ich nicht so richtig vielen Menschen in meinem Leben erzählen, was das mit mir macht, wenn Dimitri Imbongo gegen die Zweite des 1. FC Köln trifft. Wenn dann das Spiel gegen den Tabellennachbarn ansteht und ich im Wagen auf dem Weg zum Stadion Tom Petty höre: „I won´t back down“, nur um mir Mut zu machen. In solchen Momenten würde ein Gespräch über unnachahmlichen Geschmack von Kroketten guttun oder über Stützwellen in den späten Achtzigern. Vielleicht ein Bier am Rande des Kofferraums seines Fiat Puntos – das gäbe Hoffnung. 

Ende Oktober ist immer Scheiße.

Dieser Text erscheint zum Heimspiel der manchmal gar nicht mehr so wichtigen Alemannia aus Aachen zum Heimspiel gegen den SV Lippstadt im Tivoli Echo.

Sascha Theisen

STAMMPLATZ-Gründer und Fußball-Romantiker